Anthrax
verbracht hatte, hatte sie sich offenbar ziemlich gut auf die dortige Uhrzeit eingestellt.
Kaum hatte sie sich zum ersten Mal geräkelt, da erhob sich auch schon Tom-2 und kam ans Kopfende des Bettes gekrochen, um sich seine allmorgendliche Dosis an Streicheleinheiten abzuholen. Laurie erfüllte ihm den Wunsch gern. Im Gegensatz zu ihrem ersten Kater, einer Promenadenmischung namens Tom, den sie einst aus einem Tierversuchszentrum gerettet hatte und der später brutal getötet worden war, war Tom-2 ein reinrassiger Burmakater. Sie hatte ihn bei den Fabulous Feiines an der Second Avenue gekauft. Das Fell von Tom-2 hatte fast die gleiche Farbe wie Lauries Haar, allerdings besaß er keine rötlichen Strähnchen. Laurie sprang aus dem Bett. Seit sie vor gut einem Monat Paul kennengelernt hatte, war sie nur noch bestens gelaunt. Sie ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine an, die sie bereits am Abend präpariert hatte. Dann hüpfte sie in ihr winziges Bad und stellte sich fröhlich unter die Dusche. Als sie ihre Stelle beim Gerichtsmedizinischen Institut der Stadt New York angetreten hatte, und das war jetzt acht Jahre her, hatte sie dieses kleine Zweizimmer-Apartment bezogen. Inzwischen könnte sie sich durchaus eine komfortablere Wohnung leisten; doch sie hatte sich so an ihre im fünften Stock liegende Bleibe gewöhnt, daß sie sich einen Umzug lieber ersparte. Außerdem wohnte sie nur elf Blöcke vom Institut entfernt, so daß sie oft beide Wege zu Fuß zurücklegte. So bequem hatten es nur wenige ihrer Kollegen. Während sie sich die Haare wusch, dachte sie über das Dinner am vergangenen Abend nach und mußte grinsen. Anfangs war sie enttäuscht gewesen, wie Jack und Lou auf ihre Neuigkeit reagiert hatten; aber nachdem sie deren Verhalten noch einmal hatte Revue passieren lassen, hatte sie ihre Meinung geändert. Inzwischen mußte sie darüber lachen, wie offensichtlich schockiert und unfähig die beiden gewesen waren, ihr das Beste zu wünschen. Daß sie auch ein bißchen Genugtuung empfand, konnte sie nicht verhehlen. Von den beiden war keiner bereit gewesen, auch nur annähernd an eine feste Bindung zu denken. Was erwarteten sie von ihr? Daß sie ihr Leben lang ein Single blieb? Sie hatte schon länger vermutet, daß sowohl Jack als auch Lou in sie verliebt waren und Angst hatten, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Sie schätzte die Freundschaft der beiden sehr, doch oft hatte sie die Situation auch als frustrierend empfunden; denn sie hatte schon immer gewußt, daß sie Kinder haben wollte. Daß vor allem Jack viel Zeit benötigte, um den schmerzlichen Verlust seiner Familie zu verarbeiten, konnte sie durchaus verstehen, und sie hatte jede Menge Geduld aufgebracht. Aber sollte sie ewig warten? All die Jahre, die sie Jack nun kannte, hatte er durch nichts zu erkennen gegeben, daß er allmählich seinen Schmerz überwand. Manchmal kam es ihr so vor, als ob sein ganzes Leben eine einzige Reaktion auf den tragischen Unfall war.
Mit Lou stand die Sache anders. Sein tief verwurzelter Minderwertigkeitskomplex schien gegen all ihre Bemühungen immun zu sein. Mit den verschiedensten Methoden hatte sie versucht, seinen Schutzschild zu durchbrechen – ohne Erfolg. Es war sogar so gewesen, daß er sich um so mehr in die Defensive gedrängt gefühlt und sogar Streit angefangen hatte, je mehr Aufmerksamkeit sie ihm widmete. Schließlich hatte sie resigniert und sich damit zufrieden gegeben, daß sie eben einfach Freunde bleiben würden. Sie frottierte sich kräftig das Haar, kämmte es und holte den Fön hervor. Da sie es für besser hielt, sich auf das Positive in ihrem Leben zu konzentrieren, dachte sie an Paul Sutherland. Ein verzücktes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Im Laufe der vergangenen Jahre hatte sie sich bemüht, ihre eigene Persönlichkeit besser zu verstehen. Dabei war ihr klargeworden, daß sie ihr ganzes Leben lang nur vorsichtige, rationale Entscheidungen getroffen hatte – ein Charakterzug, der ihr in beruflicher Hinsicht deutlich zugute gekommen war, sie in anderen Situationen aber auch eingeschränkt hatte. Von ein oder zwei kleineren Aufständen im Teenageralter abgesehen hatte sie nie wirklich etwas riskiert. Mit Paul war jetzt ihre Chance gekommen. Sie mußte die Gelegenheit nur beim Schopfe packen und endlich voll ins Leben einsteigen.
Als sie mit ihrem Haar zufrieden war, widmete sie sich dem Schminken. Da sie nur wenig Make-up benutzte, war sie schnell fertig. Beim Auftragen
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