Anthrax
dachte sie über ihre stürmische Romanze mit Paul nach. Dank seiner Großzügigkeit und Spontaneität waren sie nicht nur in Paris gewesen, sondern hatten auch jeweils ein Wochenende in Los Angeles und Caracas verbracht. In New York waren sie fast jeden Abend essen gegangen, und zwar nur in den besten Restaurants der Stadt. Darüber hinaus hatten sie etliche Theater und Konzerte besucht.
Als sie sich angezogen hatte, ging sie in die Küche und frühstückte. Während sie ihr Müsli mit Früchten und Joghurt aß und am Kaffee nippte, mußte sie sich eingestehen, daß ihr die Geschichte mit Paul ein bißchen zu schnell ging. Sie war immer noch total überwältigt von seinem überraschenden Antrag. Noch nie hatte sie sich so gut und geschmeichelt gefühlt wie jetzt, da sie einen Mann hatte, der sie schätzte und sie unter keinen Umständen wieder laufenlassen wollte. Wenn sie Paul noch nicht offiziell ihr Jawort gegeben hatte, dann vor allem deshalb, weil sie noch mit Jack und Lou, in erster Linie aber mit Jack, hatte sprechen wollen. Sie hatte geahnt, daß die beiden herumdrucksen und sich winden würden, aber sie hatten es nicht besser verdient. Trotzdem fühlte sie sich den beiden gegenüber verpflichtet, ihre Situation klar und ehrlich offenzulegen. Wenn sie wollten, konnten sie sich weiter um sie bemühen oder sich bedeckt halten und sich zurückziehen. Falls sie sich von ihr zurückzogen, würde sie ihre Chance wahrnehmen und ihre Zukunft endgültig mit Paul verbringen, selbst wenn sie sich instinktiv längst nicht so zu Paul hingezogen fühlte wie zu Jack. Die Türklingel riß sie abrupt aus ihren Gedanken. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Wer wollte sie morgens um halb acht besuchen? Sie nahm den Hörer von der altmodischen Sprechanlage und preßte ihn ans Ohr. Dann drückte sie den Sprechknopf und sagte »hallo«. Trotz des Rauschens erkannte sie die antwortende Stimme sofort. Es war Paul. Sie betätigte den Türöffner. Danach rannte sie hektisch durch die Wohnung und sammelte einen Slip von der Sofalehne, einen BH vom Beistelltisch und eine Strumpfhose vom Boden auf. Als sie am Abend nach Hause gekommen war, war sie so müde und erschöpft gewesen, daß sie sich schon auf dem Weg zum Bett ausgezogen und sämtliche Sachen unterwegs hatte fallen lassen.
Kurz darauf klopfte es an der Tür. Automatisch sah Laurie zuerst durch den Spion. Paul hatte sein Gesicht an die winzige Linse gepreßt, so daß sie direkt in eins seiner dunklen Augen blickte.
Sie entriegelte die diversen Schlösser, die ihr Vormieter an der Wohnungstür angebracht hatte, und öffnete. »Du Clown«, begrüßte sie ihn fröhlich und spielte auf seine Mätzchen an. Er liebte es, neckische und unvorhersehbare Dinge zu tun, die Laurie in der Öffentlichkeit allerdings manchmal peinlich waren. Er war ihr zum Beispiel in den engen Waschraum der Concorde gefolgt. Beim Rausgehen hatte sie sich entsetzlich geschämt. Später hatte sie allerdings sowohl über sich selbst als auch über den steifen Geschäftsmann lachen müssen, der so getan hatte, als hätte er sie nicht gesehen.
»Ich habe eine Überraschung für dich«, sagte Paul und zauberte hinter seinem Rücken einen Strauß Herbstblumen hervor.
»Wieso bekomme ich Blumen?« fragte Laurie. »Nur so«, erwiderte Paul. »Ich bin an einem von diesen koreanischen Bedarfsartikelläden vorbeigekommen, die die ganze Nacht geöffnet haben, und der Strauß hat mir spontan gefallen.«
»Vielen Dank«, sagte Laurie. Sie gab ihm ein Küßchen und nahm die Blumen entgegen. Während sie eine Vase holte, zog Paul seinen Mantel aus. Er trug einen ähnlichen Anzug wie am Abend zuvor und sah sehr elegant aus. »Komm in die Küche, wenn du einen Kaffee möchtest!« rief Laurie ihm zu. Einen Augenblick später stand er mit dem laut schnurrenden Tom-2 auf dem Arm in der Tür. »Was möchtest du?« fragte sie. »Filterkaffee ist fertig, aber ich kann dir auch einen Espresso zubereiten.« Sie arrangierte die Blumen und stellte die Vase auf den Tisch. »Danke, ich möchte nichts«, lehnte Paul energisch ab. »Ich habe für heute genug Kaffee gehabt, wenn nicht sogar für die ganze Woche. Das Telefon hat mich mal wieder ziemlich früh aus dem Schlaf gerissen. Wenn es in Europa bloß nicht sechs Stunden früher wäre als bei uns! Dann hätte ich erheblich weniger Streß.«
»Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich weiter frühstücke, nicht wahr?« fragte Laurie. »Ich muß gleich los.«
»Alles klar«,
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