Anthrax
tun hast. Mit anderen Worten: Du arbeitest an Wochenenden. Warum, bitte schön, ist es etwas anderes, wenn ich am Wochenende auch mal arbeiten muß?«
»Es ist eben etwas anderes«, beharrte Paul. »Ach ja?« fragte Laurie. »Das sehe ich nicht so.« Paul starrte sie an. Sein Gesicht war rot angelaufen. »Meiner Meinung nach liegt der Unterschied lediglich darin, daß ich im Gegensatz zu dir in Budapest nicht meiner Arbeit nachgehen kann.«
»Es gibt auch noch andere Unterschiede«, konterte Paul erbost.
»Dann nenn mir Beispiele!« verlangte Laurie. Paul seufzte und schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wichtig.«
»Aber es muß dir wichtig sein, sonst würdest du dich doch nicht so aufregen.«
»Ich rege mich auf, weil du nicht mitkommen willst.«
»Es ist nicht so, daß ich nicht will«, betonte Laurie. »Ich kann nicht. Das mußt du ja wohl verstehen.«
»Ist schon gut«, entgegnete Paul, doch er klang nicht gerade überzeugt.
»Was machst du eigentlich für Geschäfte?« erkundigte sich Laurie jetzt. Jacks Frage vom Vorabend – sie hatte keinen blassen Schimmer und bisher auch keine Lust gehabt nachzuhaken, da sie immer davon ausgegangen war, daß er es ihr schon irgendwann erzählen würde. Nachdem sie mit unzähligen Männern ausgegangen war, die über nichts anderes reden konnten als über ihre Arbeit, hatte sie Paul als erfrischend anders empfunden. Doch allmählich wunderte sie sich doch, womit er eigentlich sein Geld verdiente.
»Spielt das eine Rolle?« fragte Paul in streitsüchtigem Ton. »Nein«, beschwichtigte Laurie. Sie hatte ihn verletzt, da ihre Frage implizierte, seine Geschäfte könnten irgend etwas mit ihrer Beziehung zu tun haben. »Deswegen sollten wir jedenfalls bestimmt nicht streiten.«
»Das sehe ich auch so«, stimmte Paul ihr zu. »Tut mir leid, daß ich ein bißchen überreagiert habe. Das Problem ist nur – ich muß unbedingt nach Budapest. Ohne dich ist es so einsam. Wenn du mitkommen würdest, würde ich mich riesig freuen.«
»Schön, wie du das sagst«, sagte Laurie liebenswürdig. »Ich finde es ja auch wirklich nett, daß du mich fragst; aber ich kann nun mal nicht jedes Wochenende wegfahren. Immerhin waren wir schon die letzten drei unterwegs.«
»Verstehe«, nuschelte Paul und rang sich ein schwaches Lächeln ab.
Laurie sah ihm in die Augen. Sie fragte sich, ob er es ehrlich meinte.
Paul hatte ein über Funk geordertes Taxi vor dem Apartmentblock warten lassen und bot Laurie an, sie ein Stück mitzunehmen, da er in die gleiche Richtung müsse. Sein erstes Meeting finde bei den Vereinten Nationen statt. Laurie war beeindruckt und platzte jetzt fast vor Neugier. Was für Geschäften er wohl nachging? Beinahe hätte sie ihn gefragt, wen er treffen würde; doch sie fürchtete, daß er den Grund ihrer Nachfrage allzu leicht durchschauen könnte. Am Gerichtsmedizinischen Institut stieg Laurie aus und winkte Pauls Wagen nach, der die First Avenue in Richtung Norden davonbrauste. Dann drehte sie sich um und stieg die Treppe zu dem Gebäude aus blauem Glasurstein hinauf. Als sie den Eingang passierte, hatte sie vage das Gefühl, nicht ganz auf der Höhe zu sein. Dabei war sie so gutgelaunt aufgestanden. Doch auch wenn sie nicht richtig mit Paul gestritten hatte, war sie leicht mit ihm aneinanderge-raten, und in ihrer bisher wild romantischen Beziehung war das eine Premiere. Sie hoffte, daß der kleine Zwist kein böses Omen war und keine weiteren Auseinandersetzungen folgten. Außerdem wünschte sie sich, daß die Spur von männlichem Chauvinismus, die in seinen Antworten durchgeklungen war, kein verschleierter Hinweis auf gänzlich sexistische Ansichten war.
Sie durchquerte den leeren Wartebereich und steuerte auf den inneren Eingang zu, der auf den Flur im Erdgeschoß führte. »Entschuldigen Sie bitte!« rief sie Marlene Wilson, der afroamerikanischen Rezeptionistin, zu. Marlene mußte den Türsummer drücken, damit Laurie hineinkonnte. »Warten Sie, Dr. Montgomery!« rief Marlene, als sie Laurie sah. »Sie haben Besuch.«
Ein Paar mittleren Alters, das Laurie noch nie zuvor gesehen hatte, erhob sich von einem der im Wartebereich aufgestellten Vinylsofas. Der Mann war stämmig und hätte eine Rasur nötig gehabt. Er trug eine dicke rotkarierte Wolljacke und hielt eine Jägermütze mit Ohrenschützern in der Hand. Die Frau sah gebrechlich aus. Der Kragen ihres Mantels war mit einer Spitzenborte verziert. Die beiden sahen aus, als kämen sie aus einer Kleinstadt im
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