Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
konnte. Als die Ernte dann besonders gut ausfiel, war der Bedarf an Olivenpressen hoch. Thales vermietete nun die Pressen nach seinen eigenen Bedingungen und machte damit ein stattliches Vermögen. Dann wandte er sich wieder der Philosophie zu.
Seine Einnahmen waren beträchtlich; vielleicht nicht unbedingt genug, um ihn steinreich zu machen, aber doch so viel, um klarzustellen, worum es ihm – gegenüber anderen, aber, wie ich glaube, auch sich selbst gegenüber – gegangen war: dass er meinte, was er sagte, und dass er über materiellem Reichtum stand und nicht darunter. Es geht um einen Umfang an Reichtum, den ich als »fuck you«-Money bezeichne – also um eine Summe, die groß genug ist, dass einem die meisten, wenn nicht gar alle Vorteile des Wohlstands offenstehen (die wichtigsten: Unabhängigkeit und die Freiheit, sich geistig nur mit solchen Dingen abzugeben, die einen auch wirklich interessieren), dass einem die Nebenwirkungen aber erspart bleiben (beispielsweise die Notwendigkeit, an einer Wohltätigkeitsveranstaltung mit Smokingzwang teilzunehmen und der höflich-umständlichen Darlegung der Details der notwendigen Renovierung eines von Marmor strotzenden Gebäudes lauschen zu müssen). Die schlimmste Nebenwirkung von Reichtum ist das soziale Umfeld, das er seinen Opfern aufzwingt – Menschen mit großen Häusern neigen dazu, mit anderen Menschen mit großen Häusern zu verkehren. Jenseits einer gewissen Grenze von Überfluss und Unabhängigkeit werden reiche Leute immer unsympathischer und Gespräche mit ihnen immer langweiliger.
Aus der Geschichte von Thales lassen sich mehrere Lehren ableiten, und alle haben mit Asymmetrie (und der Erzielung eines antifragilen Ergebnisses) zu tun. Ganz zentral ist die Schlussfolgerung von Aristoteles: »Aufgrund seiner Kenntnisse auf dem Gebiet der Astronomie hatte er, als es noch Winter war, beobachtet, dass die Olivenernte sehr reichhaltig ausfallen würde …« Für Aristoteles war der offensichtliche Grund für den Erfolg von Thales also dessen überlegenes Wissen.
Überlegenes Wissen?
Thales brachte sich in eine Position, in der er im Gegenteil von seinem Mangel an Wissen profitieren konnte sowie von der verborgenen Eigenschaft Asymmetrie. Der Schlüssel zu dem, was ich an dieser Vorteil-Nachteil-Symmetrie zeigen möchte, ist gerade der Umstand, dass Thales ein vertieftes Verständnis dessen, was die Sterne sagen, gar nicht nötig hatte.
Er hatte schlicht und einfach einen Vertrag, und ein Vertrag ist quasi der Archetyp von Asymmetrie, vielleicht die einzige ausgesprochene Asymmetrie – Asymmetrie in Reinform. Ein Vertrag ist eine Option, also »das Recht, aber nicht die Pflicht« für den Käufer und natürlich »die Pflicht, aber nicht das Recht« für die andere Partei, den so genannten Verkäufer. Thales hatte das Recht, aber nicht die Pflicht, die Olivenpressen zu benutzen, wenn die Nachfrage stieg – die andere Partei hatte die Pflicht, aber nicht das Recht. Thales bezahlte für dieses Privileg einen kleinen Preis, der Verlust war also begrenzt, der Gewinn dagegen potentiell beträchtlich. Wir haben hier die historisch erste schriftlich festgehaltene Option vor uns.
Eine Option ist ein Mittel zur Erlangung von Antifragilität.
Option und Asymmetrie
Die Geschichte mit den Olivenpressen trug sich etwa sechshundert Jahre bevor Seneca auf seinen von Elfenbein getragenen Tischplatten seine Texte verfasste zu, und dreihundert Jahre vor Aristoteles.
Die Formel aus dem zehnten Kapitel lautete: Antifragilität impliziert mehr Gewinn als Verlust, das heißt mehr Vorteile als Nachteile , entspricht also der (wünschenswerten) Asymmetrie und profitiert von Volatilität . Und falls man mehr davon profitiert, wenn man recht hat, als dass es einem schadet, wenn man nicht recht hat, dann wird einem Volatilität auf die Dauer nützen (und umgekehrt). Man ist nur dann verletzbar, wenn man für die Option wiederholt zu viel bezahlt hat. Im Fall von Thales war es offensichtlich ein guter Handel – und in den letzten Abschnitten von Buch IV werden wir sehen, dass wir für die Optionen, die uns die Natur und der technische Fortschritt zur Verfügung stellen, nichts zu bezahlen haben. Finanzielle Optionen sind möglicherweise teuer, weil alle wissen, dass es sich um Optionen handelt, und weil irgendjemand sie verkauft und dafür einen Preis berechnet – aber die interessantesten Optionen kosten nichts oder schlimmstenfalls nur wenig.
Ganz wichtig: Wir müssen
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