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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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von Antifragilität
    Und nun zum Thema Innovation, zum Begriff der Option und der Optionalität. Wie erlangt man Zugang zum Unzugänglichen, und wie gelingt es, das Unzugängliche zu erobern und zu beherrschen?
    Wissen Sie wirklich, wohin Sie unterwegs sind?
    Die Summa Theologiae des heiligen Thomas von Aquin ist eine Art von Buch, die es heute nicht mehr gibt, ein Buch als Denkmal: Eine Summa ist die umfassende Behandlung einer bestimmten Disziplin mit der Absicht, diese Disziplin aus der Struktur zu befreien, in die frühere Autoritäten sie gefasst haben – gewissermaßen also eine Art Anti-Lehrbuch. In diesem Fall ist die Disziplin, um die es geht, die Theologie, also alles, was damals an philosophischen Fragen virulent war, und die Summa äußert sich zu jedem Wissensbereich, insofern er mit den in ihr vorgetragenen Argumenten zusammenhängt. Sie reflektiert und bestimmt gleichzeitig weitgehend das Denken des Mittelalters.
    Ein ziemlicher Unterschied zu einem Lehrbuch, das einen sauber abgegrenzten Lernstoff behandelt.
    Die Abwertung der Antifragilität durch den Gelehrten lässt sich am besten mit einem Satz belegen, der in der Summa immer wieder auftaucht;eine seiner Varianten lautet: »Ein Handelnder bewegt sich nicht, außer aus dem Streben nach einem Zweck heraus«, agens autem non movet nisi ex intentione finis . Mit anderen Worten, Handelnde wissen angeblich, wohin sie gehen – ein teleologisches Argument (vom griechischen Wort telos, Zweck, Ziel oder Ende), das auf Aristoteles zurückgeht. Abgesehen von den Skeptikern fielen alle, auch die Stoiker, gedanklich auf dieses teleologische Argument herein – allerdings nicht, wenn es um ihr Handeln ging. Übrigens zitiert Thomas von Aquin hier nicht Aristoteles, den er »den Philosophen« nennt, sondern den arabischen Übermittler des aristotelischen Denkens Ibn Rushd, auch bekannt als Averroës, den von Thomas so genannten Kommentator. Und dieser Kommentator hat großen Schaden angerichtet. Das abendländische Denken ist sehr viel stärker arabisch geprägt, als gemeinhin angenommen wird, während die postmittelalterlichen arabischen Denker dem mittelalterlichen Rationalismus entkommen konnten.
    In dem gesamten Erbe des Denkens, das in der Wendung »bewegt sich nur aus dem Streben nach einem Zweck heraus« begründet ist, wurzelt der am weitesten verbreitete menschliche Irrtum, und er vermischte sich später zwei oder mehr Jahrhunderte lang mit der Illusion des bedingungslosen wissenschaftlichen Verstehens. Dieser Irrtum trägt zugleich auch am meisten zur Fragilisierung bei.
    Die teleologische Täuschung
    Ich bezeichne als teleologische Täuschung die Illusion, genau zu wissen, wohin man geht; auch in der Vergangenheit genau gewusst zu haben, wohin man unterwegs war; und schließlich, dass auch andere in der Vergangenheit in der Lage waren zu wissen, wohin sie gingen.
    Der Rationale Flaneur ist ein Mensch, der im Unterschied zum Touristen bei jedem Schritt die Entscheidung fällt, ob er seinen Plan beibehält oder ändert. Er kann also bei seiner Wahrnehmung der Realität neu hinzugekommene Informationen sofort mit verarbeiten. Nero verfuhr nach diesem Prinzip auf seinen Reisen – häufig ließ er sich dabei von seinem Geruchssinn leiten. Der Flaneur ist nicht der Gefangene eines Plans. Tourismus, sowohl als Vorstellung wie als Realität, lebt von der teleologischen Illusion; er setzt die Vollständigkeit einer Vision voraus und sperrt den Menschen in ein kaum zu revidierendes Programm. Der Flaneur verändert im Unterschied dazu mit dem Hinzukommen von neuen Informationen kontinuierlich – und, was entscheidend ist, auf rationale Weise – seine Ziele.
    An dieser Stelle ist allerdings eine Warnung angebracht: Der Opportunismus des Flaneurs ist eine fantastische Sache im öffentlichen Leben und wenn es um Geschäfte geht – nicht aber im Privatleben und in Angelegenheiten, die auch andere Menschen miteinbeziehen. Das Gegenteil von Opportunismus in menschlichen Beziehungen ist das edle Gefühl der Loyalität – es muss allerdings an den richtigen Stellen zum Einsatz kommen, also in menschlichen Beziehungen und bei moralischen Verpflichtungen.
    Mit dem Irrtum zu meinen, Sie wüssten genau, wohin Sie gehen, und anzunehmen, Sie wüssten heute , welche Vorlieben Sie morgen haben werden, hängt ein weiterer Irrtum eng zusammen, nämlich die Illusion zu glauben, dass auch andere wüssten, wohin sie gehen, und dass sie Ihnen sagen würden, was sie wollen, wenn

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