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Antonias Wille

Antonias Wille

Titel: Antonias Wille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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können. »Schon sechs Uhr, oje! Sie wollen doch sicher nicht allzu spät losfahren, bei dem weiten Heimweg!« Antonia räusperte sich und strich sich fahrig durchs Haar. »Julie, ich glaube, es ist Zeit, dass wir jetzt das Wesentliche besprechen …«
    Julie runzelte die Stirn. Das Wesentliche?
    Â»Wahrscheinlich wird das, was ich Ihnen jetzt sage, ein bisschen plötzlich für Sie kommen, aber ich bin eine alte Frau und krank obendrein. Ich habe also nicht mehr viel Zeit. Kurz gesagt: Ich möchte Ihnen das ›Kuckucksnest‹ überschreiben. Viel zu lange habe ich mich nicht um den Hof gekümmert. Ach, was heißt hier viel zu lang? Mein Leben lang habe ich mich nicht darum gekümmert! Mir war es egal, was dort oben auf dem Berg passierte. Fragen Sie mich nicht, warum … Vielleicht war ich einfach nur dumm und egoistisch. Doch das Gebäude hat sich dafür erstaunlich gut gehalten, finden Sie nicht? Ich habe letzte Woche einen Gutachter hingeschickt. Gestern ist sein Bericht gekommen. Die Bausubstanz sei absolut in Ordnung, schreibt er. Und er –«
    Â»Entschuldigen Sie, aber … was haben Sie am Anfanggesagt?«, unterbrach Julie Antonias Redefluss. Was sollte das alles? Erlaubte sich die alte Dame einen Scherz mit ihr?
    Â»Ich möchte, dass Sie das ›Kuckucksnest‹ bekommen«, antwortete Antonia schlicht.
    Julie war sprachlos.
    Â»Ich habe niemand anderen, dem ich den Hof vererben könnte. Meine Verwandten hier im Dorf – ihnen gehört der Gasthof ›Fuchsen‹, vielleicht haben Sie ihn auf der Fahrt hierher gesehen – werden das Häuschen erben. Und denen würde ich den Berghof eh nicht geben. Und sonst gibt es niemanden«, betonte Antonia noch einmal, als würde das alles erklären. »Als ich den Artikel über Sie gelesen habe, wusste ich, dass Sie ein Mensch sind, der die Kraft und die Gabe hat, das Glück ins ›Kuckucksnest‹ zurückzubringen.«
    Wovon redete Antonia Fahrner da? Julie umklammerte ihre Teetasse so fest, dass sie für einen Moment befürchtete, sie würde zerspringen. Abrupt stellte sie die Tasse ab.
    Â»Aber Sie kennen mich doch gar nicht! Und die Tatsache, dass wir über ein paar Ecken miteinander verwandt sind … was heißt das schon? Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!« Julie machte eine hilflose Handbewegung. Ich träume!, schoss es ihr durch den Kopf. »Warum verkaufen Sie den Hof nicht einfach? Solch eine Immobilie mit so viel Land ringsum … das muss doch ein Vermögen wert sein! Sie könnten eine Weltreise machen. Oder das Geld für einen guten Zweck spenden …«
    Julie hob die Hände, als wollte sie sagen: Alles ist möglich. Tausend Gedanken flogen wie aufgeschreckte Vögel durch ihren Kopf. Sie hatte Mühe, sich auf den am nächsten liegenden zu konzentrieren.
    Â»Ich will aber nicht einfach verkaufen! Das hätte ich schon vor Jahren tun können. Alle paar Jahre sind mir entsprechende Anfragen nach Japan geschickt worden. Nein, das will ich nicht!« Eine kleine, steile Falte hatte sich zwischen Antonias Augen gebildet.
    Â»Aber warum wollen Sie das ›Kuckucksnest‹ gerade mir vererben?« Julie spürte ein nervöses Zucken im Mundwinkel. Ungebetene, verführerische Visionen tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Dieser Berghof ihr Eigentum? Wie oft hatten Theo und sie schon nächtens zusammengesessen und darüber fantasiert, wie es wohl wäre, die Kunstschule in größeren Räumen unterzubringen. Raus aus der Hektik der Innenstadt, an einen Ort, der den Menschen Ruhe und Kraft gibt. An ein Objekt wie das »Kuckucksnest« hatten sie jedoch in ihren kühnsten Träumen nicht gedacht.
    Auf Antonias Gesicht machte sich ein Lächeln breit, das eher einer Grimasse glich.
    Â»Sie haben nicht richtig zugehört, meine Liebe. Sie sollen den Hof nicht erst nach meinem Tod bekommen, sondern schon bald. Aber um ein Geschenk im üblichen Sinne handelt es sich auch nicht. Ich möchte, dass Sie etwas für mich tun. Und was ich von Ihnen verlange, ist nicht wenig …«
    Antonia erklärte Julie ihre Idee.
    Julie hörte schweigend zu. Doch die ganze Zeit über kitzelte ein nervöses Kichern ihre Kehle. Der Nachmittag hatte einen unwirklichen Verlauf genommen, es war ein verrückter Traum, über den man am nächsten Morgen

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