Antonias Wille
so üblich.
Ich muss wohl noch einiges dazulernen, was »feine Leute« angeht. Wenn die Gräfin und ihr Geliebter ein MaÃstab sind, dann ist die bessere Gesellschaft jedenfalls ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe.
Gestern Abend fragte mich der Herr Steudle doch tatsächlich, ob ich ihm nicht eine Tüte von meinen Haselnusskeksen mitgeben könne, als »unwiderstehliche, süÃe Erinnerung an süÃe Stunden« â so hat er sich ausgedrückt. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Aber wer kann so einer Bitte schon widerstehen? Also habe ich mich halt hingestellt und »unwiderstehliche« Kekse für ihn gebacken. Und weil ich nichts anderes zur Hand hatte, nahm ich eine von Margrets Spanschachteln und tat sie dort hinein. Als ich ihm vorhin die Keksdose überreichte, war er so gerührt, dass er mir noch einen zusätzlichen Geldschein in die Hand gedrückt hat. Dabei haben die Gräfin und er mich doch sowieso schon fürstlich bezahlt.
Das war ein sehr peinlicher Moment, als es ans Zahlen ging. Ich wusste natürlich nicht, was ich verlangen sollte, habe die Nächte gezählt, die die beiden hier oben waren, druckste dann ein wenig herum, bis Ludmilla mich schlieÃlich äuÃerst skeptisch anschaute. Ob denn nicht mehr der Tarif gelte, den Claudine ihr genannt habe? Welchen Tarif hat sie Ihnen denn genannt?, fragte ich zurück. Nun, acht Mark pro Tag, inklusive Verpflegung. Acht Mark? Das ist doch viel zu viel, wollte ich schon sagen â soviel ich wusste, verlangten sie unten im »Fuchsen« vier Mark die Nacht. Aber da hatte Ludmilla mir das Geld schon auf den Tisch gelegt. Und zwaracht Mark pro Tag und Person ⦠Und dann hat sie noch einmal wiederholt, wie wohl sie sich gefühlt haben und dass sie ganz vielen Leuten vom Moritzhof erzählen werde. Ich frage mich, wie sie das machen will, wo sie doch heimlich hier war.
Mein Zorn auf Claudine ist längst verraucht. Sie hat es schlieÃlich nur gut mit mir gemeint. In ihren Augen ist Trubel und Kurzweil das Heilmittel in allen Lebenslagen, und damit hatte sie ja auch Recht. Wenn sie erst einmal erfährt, welche Spätfolgen ihr Heilmittel für mich hat â¦
368 Mark â mein erstes, selbst verdientes Geld als Hotelwirtin! Was Karl wohl dazu sagen würde?
Ich höre Simone unten im Haus rufen. Heute ist ja ihr Besuchstag, das habe ich glatt vergessen. Wie schön, dann ist das Haus doch nicht so leer! Ich muss mich dringend ein wenig um sie kümmern. Und um Bärbel ebenfalls â wenn die Arme weiterhin nur mit den Ziegen zu tun hat, fängt sie bald selbst an zu meckern â¦
»Ein Hotel ?«
Rosanna nickte. Die Wäsche knallte mit einem Platsch gegen die Trogwand.
Simone streifte sich die Seife von den Händen ab, dann setzte sie sich auf den umgestürzten Bottich, der neben dem Waschtrog stand. Sie konnte nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte.
»Du lässt dich viel zu leicht begeistern. Und dann denkst du nicht mehr geradeaus. So war das schon immer bei dir! Erst hast du dich von Zacharias einwickeln lassen, dann war es dein Umzug hier herauf, dann diese ⦠Hochzeit mit GroÃvater ⦠Es ist nicht gut, immer das Erstbeste, das einem in den Sinn kommt, durchzusetzen, ganz abgesehen davon, dass es überhaupt nicht funktioniert! Das müsstest du doch inzwischen gemerkt haben.«
Vor lauter Eifer hatte Simone das Atmen vergessen und bekam einen heftigen Schluckauf.
Rosanna schaute vom Waschtrog herüber. Sie warf wie ein Pferd den Kopf nach hinten, um ein paar Haarsträhnen loszuwerden, die ihr in die Augen hingen.
»Wenn du mit deinen neunmalklugen Reden fertig bist, kannst du mir die Tischdecken in dem Korb dort hinten bringen.« Kraftvoll zog Rosanna einen Stoffberg aus der Lauge. »Zunächst einmal ist das nicht die âºerstbesteâ¹ Idee, wie du es nennst. Ich habe nämlich alles längst durchdacht. Du müsstest mal die Notizen sehen, die ich mir schon gemacht habe! Und zweitens muss man das Leben nun einmal so nehmen, wie es ist.« Befriedigt zog sie das letzte Wäschestück aus dem Wasser. »So, das hätten wir!«
Aber das Leben ist doch schön so, wie es ist , schrie es laut in Simone, während sie den nächsten Schluckauf krampfhaft unterdrückte. Wir haben doch alles, was wir brauchen. Wir haben uns! Und endlich gibt es niemanden mehr, der
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