Antonias Wille
Sie musste etwas tun, irgendetwas, sonst würde sie platzen vor lauter Aufregung.
Auch Ludmillas Augen glänzten wie die eines Kindes, das am Weihnachtsabend durchs Schlüsselloch lugt.
»Wie ich Sie beneide! Ein Hotel zu erbauen, ich meine natürlich, ein Hotel umzubauen ⦠nein, das trifft es auch nicht, ich ⦠ach, Sie wissen schon, was ich meine. Das war immer mein sehnlichster Wunsch â¦Â«, fügte sie leise hinzu.
»Ein Hotel zu eröffnen?« Rosanna schüttelte ungläubig den Kopf.
Ludmilla lachte. »Nein, das meine ich nicht. Aber so etwas wie eine ⦠Geschäftsfrau zu werden. Eine Idee zu haben und diese Idee wachsen zu sehen. Etwas aufzubauen!« Sie verzog spöttisch den Mund. »Ich weiÃ, diese Gedanken sind für eine Dame meines Standes sehr untypisch. Und wehe, ich würde sie einmal laut aussprechen! Woanders, meine ich. Man würde mich schlichtweg für verrückt erklären.«
»Aber das können Sie doch immer noch! Sie haben so viele Bekannte, bestimmt würden die Ihnen helfen«, antwortete Rosanna heftig. Die Traurigkeit in Ludmillas Worten bekümmerte sie. Sie hätte so gern etwas von ihrer optimistischen Stimmung abgegeben!
Doch Ludmilla schüttelte nur resigniert den Kopf. »Nein, Rosanna, solche Dinge muss man tun, wenn man jung ist. So wie Sie! Wie alt sind Sie eigentlich, wenn ich fragen darf?«
»Zweiundzwanzig«, erwiderte Rosanna.
Ludmilla nickte. Nachdenklich fuhr sie fort: »Später kann man nur noch zurückschauen auf all das, was man unterlassen hat, weil âºes sich nicht gehörtâ¹, weil âºman so etwas einfach nicht tutâ¹, weil â¦, ja, weil man eine Frau ist.« Sie griff nach Rosannas Arm. Ihre Hand war warm, fast fiebrig. »Lassen Sie sich nicht einschüchtern, niemals! Von nichts und niemandem! Es gibt nichts Schrecklicheres, als ein Leben zu führen, das einem nicht entspricht. Glauben Sie mir, ich weiÃ, wovon ich rede.«
11. Mai 1902
Sie sind weg. Vor einer halben Stunde ist dieselbe Kutsche gekommen, die die beiden auch gebracht hatte, und hat die Gräfin und den Herrn Steudle abgeholt. Nun bin ich wieder allein. Ach, wie wird mir das Haus leer vorkommen!
Andererseits bin ich auch froh, dass ich jetzt zum Durchatmen komme. Seit meinem Gespräch mit Ludmilla schwirren mir so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich gar nicht weiÃ, welchem ich mich zuerst widmen soll. Wann immer mir etwas einfällt, was mein zukünftiges »Hotel« betrifft, schreibe ich es in ein Büchlein, das ich extra für diesen Zweck besorgt habe.
Natürlich frage ich mich oft, ob ich verrückt bin. Wie kann ich mir einbilden, ein Hotel führen zu können? Bin ich nicht zu jung dazu? Und zu dumm? Eine arme Köhlertochter, die nicht mal richtig schreiben und lesen konnte, als sie hier ankam. Aber ich habe es gelernt! Und arm bin ich längst nicht mehr, auch wenn mir mein Reichtum bisher nichts als Trauer gebracht hat. Vielleicht ist die Zeit gekommen, das zu ändern.
Karl hatte genug Vertrauen in mich, um mir seinen Hof zu vermachen. Und das hat er bestimmt nicht getan, damit ich nur hier sitze und Däumchen drehe oder ein paar Ziegen halte. Es liegt an mir, aus seinem Vermächtnis etwas zu machen! Ich solle das Land für mich arbeiten lassen, hat er in seinem Brief geschrieben. Nun, genau das habe ich vor.
Eines ist gewiss: Viel Zeit zum Traurigsein wird mir nicht mehr bleiben, sobald mein Plan erst einmal Gestalt annimmt. Gäste machen viel Arbeit, das habe ich jetzt schon gemerkt â¦
Wenn die Zweifel kommen, sage ich mir: Was Zacharias und die Elsbeth mit dem Pferdegebiss schaffen, das kann ich allemal! Zacharias selbst hat immer gesagt, die Gäste würden mich mögen und ich gäbe eine gute Wirtin ab. Nun, ich werde ihm zeigen, wasfür eine gute ich sein werde! Ich freue mich schon auf die Gesichter unten im Dorf, wenn die ersten Kutschen mit Ãbernachtungsgästen hier herauffahren! Aber so weit sind wir noch lange nicht â¦
Eigentlich sollte ich statt zu schreiben jetzt am Waschtrog stehen. Die Tisch- und Bettwäsche muss gewaschen werden, auÃerdem die Berge von Handtüchern, welche die Gräfin benötigt hat. Gott sei Dank sind die Schränke hier oben voll mit dem Zeug. Ich glaube, Ludmilla hat sich jeden Tag gewaschen ⦠Nun ja, vielleicht ist das bei den feinen Leuten
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