Antonias Wille
ihn schmähten. Der liebe Gott würde selbst für gerechte Strafe sorgen. Und wenn nicht, konnte sie ihm immer noch dabei helfen â nein, dann musste sie ihm helfen! Denn sie war auch ein Teil vom »Zorn Gottes«, Mutter hatte es selbst zugegeben, damals im Waschhaus. Vor Aufregung war Simones Mund ganz trocken geworden, und mit einem Räuspern versuchte sie nun, wieder Spucke im Mund zu sammeln.
»Wir nähern uns dem Tag von Christi Geburt, und so möchte ich euch an die unbefleckte Empfängnis der seligen Jungfrau erinnern. Aber wie sieht es denn aus in den Gemeinden? Da steht manch eine im weiÃen Kleid vor dem Altar, und man fragt sich, wie viele Flecken es schon abbekommen hat! Auf den Festen trägt so manche das Jungfernkränzlein, derweil sie mit einem Burschen zusammenkriecht, ihm schöntut, sich dem Verderben hingibt â¦Â«
In der Stimme des Pfarrers stoben die ersten Funken des Höllenfeuers auf. Der GroÃteil der Anwesenden bekundete seineZustimmung mit einem demütigen Nicken, andere schauten leidenschaftslos nach vorn, in vereinzelten Gesichtern sah man eine leichte Röte aufsteigen.
Und warum sprach der Pfarrer nicht von den Männern, die wie Pilze die Frau vergifteten, die von ihnen naschte?, fragte sich Simone wütend. Ihr Herz lief über vor Mitgefühl für Rosanna. Wie würden die Worte des Pfarrers in ihren Ohren klingen ⦠Arme Rosanna, armer Engel! Vielleicht war es doch nicht so schlecht, dass sie nicht mehr in Rombach lebte. Der Pfarrer setzte nun zum Schlussakkord seiner Predigt an. »Jünglinge und Jungfrauen, ihr müsst wissen: Die jungfräuliche Würde soll euer gröÃter Stolz sein! Darum hört nicht auf die süÃen Worte, die euch verführen wollen zu Tanz und sündigem Beisammensein.«
Zacharias hatte Rosannas jungfräuliche Würde mit FüÃen getreten. In der Hölle sollte er dafür schmoren! Simone beschloss, Gott am Ende der Predigt darum zu bitten.
»Und euch Eltern sage ich: Verbietet jeden gefährlichen Umgang, ein jedes nächtliche Zusammensein, sonst leistet ihr der Sünde eurer Söhne und Töchter Vorschub â¦Â«
Mit einem schrägen Seitenblick bemerkte Simone, dass ihre Mutter mit regloser Miene nach vorn schaute, die Augen auf das Kreuz Jesu gerichtet. Es war, als wollte sie mit aller Kraft die Blicke von sich ablenken, die ihr von manch einer Kirchenbank mehr oder minder unverhohlen zugeworfen wurden.
Dass es mit Rosannas Verschwinden etwas Geheimnisvolles auf sich hatte, darüber wurde in den letzten Tagen in Rombach viel spekuliert. Hatte sie gestohlen? Oder einem Gast zu schöne Augen gemacht? Oder einem der Söhne? Es gab auch die geflüsterte Vermutung, dass der Wirt womöglich selbst ein Auge auf sie ⦠Dass die Schuld in jedem Fall bei Rosanna liegen musste, war klar â schlieÃlich hatte Franziska überall herumerzählt, sie habe das Weib zum Gehen aufgefordert. Nur den Grund dafür hatte sie nicht genannt. Deshalb hofften nun manche Kirchenbesucher, aus ihrer Reaktion auf die Predigt weitere Schlüsse in dieser rätselhaften Angelegenheit ziehen zu können.
Wenn ihr alle wüsstet!, dachte Simone hasserfüllt. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte mit dem Finger durch den Weihrauchnebel in Richtung der Männerbänke gezeigt, dorthin, wo Zacharias saÃ. »Da sitzt der Schuldige! Ihn müsst ihr ächten und bestrafen!« Stattdessen kaute sie so lange auf der Haut rund um ihren Daumennagel herum, bis nur noch das rosafarbene Fleisch zu sehen war.
Das Mittagessen fiel an diesem Sonntag recht schlicht aus: Franziska hatte vor dem Kirchgang einen Batzen Schweinefleisch zusammen mit Kartoffeln, Möhren und einigen Zwiebeln auf den Herd gestellt. Noch im Sonntagsgewand begann sie, das Fleisch in Stücke zu schneiden. Dann schaufelte sie jedem von dem Eintopf in einen Suppenteller. Nach einem kurzen Gebet begannen alle stumm zu löffeln.
Simone hatte keinen Hunger. Seit der Predigt war ihr Bauch angefüllt mit der Sorge um Rosanna. Angewidert schaute sie auf das kleine Stück Fleisch, das inmitten einiger Rüben auf ihrem Teller trieb.
In den letzten Monaten hatte Rosanna sonntags gekocht â Sauerkraut und Kartoffelknödel oder Spätzle, dazu Braten mit feiner SoÃe. Manchmal hatte sie auf Franziskas Geheià vorneweg eine Suppe zubereitet, und
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