Antrag nach Mitternacht
Kopfschmerzen.“
In den oberen Räumen des Hauses angekommen, warf ihr das Dienstmädchen den gleichen fragenden Blick wie zuvor schon Fenton zu. Maisie löste Francescas hochgestecktes Haar und bürstete es aus, dann half sie ihr aus dem Kleid und in ihr Nachtgewand. Anschließend eilte sie aus dem Zimmer, um Lavendelwasser gegen die Kopfschmerzen zu holen. Ehe Francesca sich’s versah, lag sie im Bett, den Kopf auf die aufgeschüttelten Kissen gebettet, ein getränktes und nach Lavendel duftendes Taschentuch auf der Stirn, während die Öllampe auf dem Nachttisch neben ihr auf niedrigster Flamme brannte.
Seufzend schloss Francesca die Augen. Sie war nicht müde, dafür war es noch viel zu früh am Abend. Und genau genommen hatten auch die Kopfschmerzen deutlich nachgelassen, kaum dass sie zu Hause war. Aber bedauerlicherweise schien sich die düstere Stimmung verstärkt zu haben, von der sie auf dem Ball überfallen worden war.
Dabei war sie nicht der Typ Frau, der über die Rückschläge in ihrem Leben ständig nachgrübelte. Als ihr Ehemann vor fünf Jahren verstarb, da hinterließ er ihr kaum mehr als dieses Stadthaus in London. Trotzdem hatte sie nicht die Hände in den Schoß gelegt und ihr Schicksal beklagt, sondern ihre Finanzen geregelt. Sie hatte seine Schulden abbezahlt, was für sie bedeutete, ihre Ausgaben auf das absolute Mindestmaß zu beschränken. Ein Teil des Gebäudes wurde nicht länger genutzt, weshalb sie einige Bedienstete hatte entlassen müssen, und nach und nach musste sie alles Tafelsilber und sogar ihren eigenen Schmuck verkaufen. Schnell lernte sie, mit dem wenigen Geld auszukommen, das ihr zur Verfügung stand, und so machte sie sich daran, ihre alten Kleider umzuarbeiten, anstatt neue zu kaufen. Auch trug sie ihre Schuhe, bis die Sohlen Löcher aufwiesen.
Dennoch stellte sich schon bald heraus, dass alle Sparmaßnahmen und ihr schmales Witwen-Leibgedinge nicht genügten, um sie und die deutlich geschrumpfte Zahl an Bediensteten über die Runden zu bringen. Die meisten Frauen in ihrer Lage hätten sich auf die Suche nach einem neuen Ehemann begeben, doch nach ihren Erfahrungen mit ihrem ersten Gemahl war Francesca fest entschlossen, diesen Weg kein zweites Mal zu beschreiten. Da eine Ehe damit als Geldquelle ausschied, war der nahezu zwangsläufige Weg der, ins Haus ihres Vaters zurückzukehren – das jetzt ihrem Bruder gehörte – und den Rest ihres Lebens dort als abhängige Verwandte zuzubringen.
Das wollte sie aber auch nicht, also hatte sie Ausschau nach Möglichkeiten gehalten, wie sie an Einkünfte gelangen konnte. Für Damen gab es natürlich keine Anstellungen, es sei denn, man wollte als Begleiterin oder als Gouvernante tätig werden. Weder das eine noch das andere besaß für Francesca auch nur den mindesten Reiz, und von dieser Tatsache abgesehen war sie sich darüber hinaus sicher, dass niemand ihre Dienste in Anspruch genommen hätte, und zwar in keiner von beiden Tätigkeiten. Ihre besonderen Fähigkeiten – ein exquisiter Geschmack, ein gutes Auge dafür, welche Mode zu einem Menschen passte und welche nicht, eine umfassende Kenntnis über die Londoner Gesellschaft, die Fertigkeit, im genau richtigen Maß zu flirten, Leben auch in den langweiligsten Ball zu bringen und die peinlichsten Situationen zu überspielen – waren nicht von der Art, die man zu Geld machen konnte.
Nachdem aber wieder einmal eine besorgte Mutter sie angefleht hatte, einer unbeliebten Tochter beim Start in die Saison zu helfen, wurde ihr deutlich, dass ihre Fähigkeiten durchaus von Nutzen sein konnten, um den Müttern der besseren Gesellschaft bei deren größter Sorge behilflich zu sein – nämlich ihre Töchter in einer guten Ehe unterzubringen. Nur wenige waren so hervorragend wie Francesca in der Lage, ein naives junges Mädchen durch die trügerischen Gezeiten der Saison zu begleiten. Niemand außer ihr beherrschte es, das perfekte Kleid oder ein passendes Accessoire zu finden, das der Figur schmeichelte oder über eine Schwäche hinwegtäuschte. Und genauso wusste sie, welche Frisur die beste war, damit sie zum jeweiligen Gesicht passte. Geduld, Takt und eine gesunde Portion Humor hatten sie eine unglückliche Ehe überstehen lassen und ihr geholfen, sich fünfzehn Jahre lang als einer der führenden Köpfe der beau monde zu behaupten. Diese Talente ließen sich nutzen, um eine junge Frau wohl situiert in einer Ehe unterzubringen, die – wenn sie Glück hatte – sogar die Liebe
Weitere Kostenlose Bücher