Antrag nach Mitternacht
du so selten herkommst – erst recht nicht um diese Uhrzeit.“ Mit einer vagen Geste deutete er auf einen der freien Sessel. „Setz dich doch bitte.“
„Das kann man von dir auch sagen.“ Gideon alias Lord Radbourne nahm Platz. Er war ein entfernter Cousin Rochfords und ein weiterer Großneffe der gefürchteten Lady Odelia Pencully. Beide Männer waren sie von großer Statur, allerdings war Gideon geringfügig kleiner und hatte breitere Schultern und etwas helleres Haar. Doch das war ebenso wenig ein nennenswerter Unterschied zwischen ihnen wie der etwas härtere, verhaltenere Gesichtsausdruck des Lords. Gideon hatte eine schwere Kindheit im Londoner East End verbracht, ohne zu ahnen, dass er der Sohn des Earl of Radbourne war. Erst vor gut einem Jahr war die Wahrheit über seine Herkunft ans Tageslicht gekommen, und zwischen ihm und Rochford war eine Freundschaft entstanden, die weniger mit ihrer Blutsverwandtschaft zu tun hatte als damit, dass sie beide sich in ihrem Wesen recht ähnlich waren.
Schulterzuckend entgegnete der Duke: „Ich gebe zu, ich kann mich für Clubs nicht so richtig begeistern. Ich bin wohl doch eher jemand vom langweiligen Schlag. Ab und zu komme ich aber durchaus her, um mir vor dem Zubettgehen einen Gläschen zu genehmigen. Schließlich wartet zu Hause keine wunderschöne Ehefrau auf mich.“
Er warf dem anderen Mann einen vielsagenden Blick zu.
„Auf mich auch nicht“, gab Gideon zurück. „Irene ist mit ihrer Mutter zu ihrer Schwägerin Lady Wyngate gereist. Es ist fast Zeit für Lady Wyngates Entbindung, musst du wissen.“
„Aha.“ Rochford nickte verstehend. „Und sie möchte, dass Irene dann anwesend ist.“
Auf Gideons üblicherweise schwermütiger Miene zeichnete sich ein breites Grinsen ab. „Das möchte ich doch sehr bezweifeln. Maura und Irene sind wie Feuer und Wasser – und selbst das nur, wenn sie sich einigermaßen vertragen. Nein, Irenes Mutter ist diejenige, deren Anwesenheit erwünscht ist. Irene selbst begleitet sie nur auf dem Weg dorthin. Ihre Mutter wird sicher mehrere Wochen bleiben, aber ich bin mir sicher, dass Irene spätestens in einer Woche zurück sein wird. Falls sie es überhaupt so lange aushält. Bis dahin bin ich allerdings auf mich allein gestellt.“
„Und ich möchte wetten, das gefällt dir gar nicht“, gab Rochford zurück. Jeder wusste, wie sehr sich sein Cousin seiner frisch Angetrauten verbunden fühlte, und manche bezeichneten ihn deshalb schon als unter ihrem Pantoffel stehend – allerdings nur hinter seinem Rücken.
„Überhaupt nicht“, meinte Gideon ernst. „Aber ich verstehe das nicht. Bevor ich Irene kennenlernte, machte mir das Alleinsein nichts aus. Es ist eigenartig, wie leer mir das Haus nun vorkommt.“
Rochford zuckte mit den Schultern. „Ich bedaure. Als Junggeselle kann ich dazu nicht viel sagen.“
Timmons brachte den Portwein und – womit er seinen Ruf festigte, besonders umsichtig zu sein – auch gleich zwei Gläser mit. Einige Minuten lang saßen sie beide in einvernehmlichem Schweigen da und tranken.
Schließlich begann Radbourne: „Ich war mir nicht sicher, ob dir Gesellschaft genehm sein würde. Aber du sahst so aus … ich weiß nicht … ja, eigentlich so, als hättest du einen Sekundanten nötig.“
Der Duke lachte kurz auf. „Nein, nein, es ist nichts so Gravierendes wie ein Duell. Es geht nur um … nun, um Lady Haughston.“ Er trank aus und schenkte sich ein weiteres Glas ein.
Diese Erklärung war für Gideon ganz offensichtlich nicht sehr erhellend. „Du befindest dich mit ihr im Streit?“
„Sie ist die schwierigste, die aufdringlichste und … und die unmöglichste Frau, die ich kenne!“, platzte Rochford heraus.
Gideon stutze. „Ich … verstehe.“
„Nein, ich glaube, das verstehst du nicht“, gab der Duke zurück. „Du hast schließlich nicht die letzten fünfzehn Jahre versuchen müssen, mit dieser Frau zurechtzukommen.“
Sein Gegenüber gab einen unbestimmbaren Laut von sich.
„Und heute Abend hat sie sich die neueste Eskapade geleistet. Weißt du, was sie diesmal gemacht hat?“ Der Duke schaute ihn eindringlich an. „Weißt du, zu welcher Idiotie sie sich diesmal hat hinreißen lassen?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Sie will für mich eine Ehefrau suchen!“ Rochford verzog den Mund, als hätte er auf etwas Bitteres gebissen. „Sie hat sich vorgenommen, eine Frau auszuwählen, die sie für die beste Duchess of Rochford hält.“
„Ich vermute, du
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