Antrag nach Mitternacht
hast sie nicht darum gebeten“, warf Gideon ein.
„Das vermutest du richtig. Sie glaubt, wenn sie für mich eine Frau findet, kann sie das wiedergutmachen, was sie … was vor langer Zeit vorgefallen ist.“ Er hielt kurz inne und sah Gideon an. „Ach, was soll’s. Die Wahrheit ist, sie hatte unsere Verlobung gelöst.“
Gideon machte eine verblüffte Miene. „Verlobung? Du und Lady Haughston, ihr seid verlobt?“
„Wir waren verlobt“, korrigierte er seufzend. „Vor langer Zeit. Damals war sie noch nicht Lady Haughston. Das ist jetzt fünfzehn Jahre her, und sie war nur Lady Francesca, die Tochter des Earl of Selbrooke.“
„Aber wie kann es sein, dass ich davon nichts weiß? Ja, natürlich konnte ich damals nichts davon gewusst haben, doch seit meiner Rückkehr zur Familie … Ich verstehe nicht, warum weder Tante Odelia noch meine Großmutter das je erwähnt hat.“
„Weil es ihnen auch nicht bekannt ist“, antwortete Rochford. „Es war eine heimliche Verlobung.“ Er seufzte, und auf einmal wirkte er alt und erschöpft. „Francesca war gerade erst achtzehn geworden. Ich kannte sie praktisch mein ganzes Leben lang, weil Selbrookes Anwesen Redfields an Dancy Park angrenzte. Aber in jenem letzten Winter, als sie noch siebzehn war, da sah ich sie …“ Ein flüchtiges Lächeln umspielte einen Mundwinkel. „Es war, als fielen mir die Schuppen von den Augen. Es war der zweite Weihnachtsfeiertag, und wir veranstalteten einen Ball. Sie trug zum ersten Mal lange Röcke, ihre Haare schmückte ein Band, das so blau war wie ihre Augen. Mir verschlug es die Sprache.“ Wehmütig sah er Gideon an.
„Ich kenne das Gefühl“, gab der zurück.
„Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ich verliebte mich gegen meinen Willen in sie. Ich sagte mir, sie sei zu jung für mich. Sie schien meine Gefühle zu erwidern, aber ich wusste, sie hatte noch nicht einmal ihr Debüt abgelegt. Sie war nie zuvor auf einem Ball in London gewesen, immer nur auf dem Land. Von ihren Verwandten und den Dorfbewohnern abgesehen, kannte sie nur wenige Männer. Woher sollte sie also wissen, dass ich tatsächlich der Richtige für sie war?“
Einen Moment lang schwieg Rochford, trank einen Schluck und schaute nachdenklich in sein Glas. Als er den Kopf wieder hob, ließ sein Gesicht keine Gefühlsregung mehr erkennen. „Letztlich wollte ich dann aber doch nicht warten, bis ihre erste Saison hinter ihr lag. Ich fürchtete, wenn ich mich im Hintergrund hielt, könnte mir ein anderer Mann zuvorkommen.“
„Also hast du dich auf den Kompromiss eingelassen, dich heimlich mit ihr zu verloben“, folgerte Gideon.
„Ganz genau. Ich sah das Leuchten in ihren Augen, und ich wusste, dass sie glaubte, mich zu lieben. Dennoch fürchtete ich, sie könnte vielleicht nur von ihrer Romanze über alle Maßen begeistert sein und das mit Liebe verwechseln. Ich ertrug den Gedanken nicht, sie freizugeben, ohne sie wissen zu lassen, was sie mir bedeutete und welche Hoffnungen ich für uns beide hegte. Andererseits wollte ich auch nicht, dass sie durch eine öffentliche Verlobung unwiderruflich an mich gebunden war. Falls sie ihre Meinung änderte oder falls sie erkannte, dass sie mich gar nicht so sehr liebte, wie sie geglaubt hatte, dann sollte es ihr möglich sein, die Verlobung zu lösen, ohne einen öffentlichen Skandal heraufzubeschwören.“
„Verstehe.“ Gideon war nicht unter seinesgleichen aufgewachsen, aber er hatte inzwischen genug über die Gesellschaft gelernt, in der er jetzt lebte, um zu wissen, dass eine aufgelöste Verlobung ein gewaltiger Skandal war, der vor allem die betroffene Frau bis an ihr Lebensende verfolgen konnte. Als Folge davon machte so gut wie niemand in letzter Minute noch einen Rückzieher, auch wenn man bereits Zweifel an der zu schließenden Ehe hegte.
„Bedauerlicherweise sollte ich am Ende recht behalten. Sie liebte mich nicht genügend.“
„Was war denn passiert?“
Der Duke zuckte mit den Schultern. „Sie wurde getäuscht. Man ließ sie annehmen, ich hätte eine Affäre mit einer anderen Frau. Ich versuchte ihr zu erklären, was tatsächlich geschehen war, aber sie glaubte mir kein Wort. Und dann weigerte sie sich, mich überhaupt noch zu empfangen. Am Ende der Saison hatte sie sich mit Lord Haughston verlobt, und damit war die Angelegenheit erledigt.“
„Bis jetzt.“
Rochford nickte. „Bis jetzt.“ Er trank sein Glas aus und griff nach der Flasche, um abermals einzuschenken. „Unlängst fand sie
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