Anubis 02 - Horus
gereizt. »Reden Sie!«
»Eine Ratte!« Es war der kniende Polizist, der antwortete, nicht Abberline. Seine Stimme klang weinerlich. »Das verdammte Vieh hat mich gebissen!«
»Eine Ratte?« Bast entspannte sich kein bisschen, aber ihr Blick ließ den knienden Jammerlappen los und suchte die Wand hinter ihm ab. Unmittelbar hinter ihm gähnte ein gut metergroßes Loch in der aus schweren Bruchsteinen gemauerten Wand. Bast vermutete, dass er die Hand hineingesteckt hatte, als er gebissen worden war.
Sie ging hin, ließ sich in die Hocke sinken und versuchte vergeblich, die Dunkelheit dahinter mit Blicken zu durchdringen. Aber sie hörte ein gedämpftes Rascheln und Huschen und das Tappen zahlloser winziger Pfoten, und sie spürte die charakteristische Witterung der kleinen Nager. Wahrscheinlich hatte der Bursche noch Glück gehabt, nur in die Hand gebissen worden zu sein.
»Der Kerl muss in das Loch verschwunden sein«, sagte der zweite Polizist. »Keine Ahnung, was dahinter ist.«
»Dann wird es Zeit, es herauszufinden«, sagte Abberline. »Worauf warten Sie? Nehmen Sie die Verfolgung auf!«
Der Mann machte einen – sehr zögerlichen – Schritt, und Bast richtete sich rasch auf und schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Was soll das …?«, begehrte Abberline auf, und Bast
unterbrach ihn ruhig.
»Wenn Sie Ihre Männer dort hineinschicken, sehen Sie sie nicht lebend wieder. Glauben Sie mir, Inspektor. Ich weiß, wovon ich rede.«
Abberline starrte sie wütend an, aber der Anteil von Unsicherheit in seinem Blick nahm auch deutlich zu, als er das finstere Loch hinter ihr musterte. »Ich frage mich, ob Sie nicht noch eine ganze Menge mehr wissen«, sagte er missmutig. »Hatte ich Sie nicht gebeten, dort oben zu bleiben?«
»Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie mich verhaftet, Inspektor«, antwortete Bast betont. »Muss ich da nicht ständig in Ihrer Nähe sein?«
Abberline verzog humorlos die Lippen und machte eine Kopfbewegung auf das Schwert in ihrer Hand. »Stecken Sie das Ding weg.«
»Sobald Sie aufhören, mit Ihrem Ding auf mich zu zielen«, antwortete Bast lächelnd.
Abberline sah sie einen halben Herzschlag lang einfach nur verwirrt an, dann fuhr er zusammen und senkte hastig die Pistole, die er immer noch auf sie gerichtet hielt; wahrscheinlich, ohne es selbst zu bemerken. Bast senkte – deutlich langsamer – das Schwert, steckte es aber noch nicht ein.
»Sagen Sie nicht, Sie haben das Ding auch bei sich gehabt, während Sie mit Monro gesprochen haben«, sagte Abberline nervös, machte aber zugleich auch eine entsprechende Handbewegung, um sie am Antworten zu hindern. »Wer war das?«, fragte er. »War das der Kerl, der den Fahrer getötet hat?«
»Ich nehme es an«, antwortete Bast. Sie hörte sogar selbst, wie nervös ihre Stimme klang. Sie sollte sich entspannen, aber sie konnte es nicht. Es war noch nicht vorbei, das spürte sie. Weder Horus noch Sobek waren in der Nähe, dessen war sie sich jetzt sicher, aber die Gefahr war noch nicht vorüber.
»Warum?«, fragte Abberline.
»Ich … bin nicht ganz sicher«, antwortete Bast wahrheitsgemäß. »Vielleicht nur, um mich zu treffen.«
»Das ist ein bisschen wenig, meinen Sie nicht?«, fauchte Abberline. Er zwang sich sichtbar zur Ruhe und fuhr in gepresstem Ton fort: »Wenn Sie wollen, dass ich Ihnen vertraue, dann sollten Sie vielleicht damit anfangen, mir ebenfalls zu trauen. Was geht hier vor?«
»Ich weiß es noch nicht genau«, antwortete Bast. »Aber es hat … nichts mit Ihnen zu tun, Inspektor, oder dem, weswegen Sie mich heute zu sich bestellt haben. Das ist alles, was ich Ihnen im Moment sagen kann.«
»Und Sie erwarten, dass ich mich damit begnüge und Sie gehen lasse?«, fragte Abberline.
»Das sollten Sie, Frederick.« Maistowe langte schwer atmend bei ihnen an und maß Abberline mit einem ebenso erschöpften wie vorwurfsvollen Blick. »Oder haben Sie Ihre gesamte Menschenkenntnis eingebüßt?«
Man musste nicht über Basts ungewöhnliche Beobachtungsgabe verfügen, um zu erraten, welche Art von Antwort Abberline auf der Zunge lag. Aber er beherrschte sich, funkelte Maistowe nur einen Atemzug lang an und sagte dann in fast resignierendem Ton: »Hatte ich Sie nicht gebeten, oben beim Wagen zu warten, Jacob?«
»Ich glaube nicht, dass ihn jemand stiehlt, Frederick«, versetzte Maistowe. »Habt ihr ihn?«
Die Frage war so überflüssig, dass Abberline sich nicht einmal die Mühe machte, darauf zu antworten. Er starrte
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