Anubis 02 - Horus
erscheinen. Möglicherweise sogar die ganzen zwei Stunden.
Sie stand auf, bückte sich nach ihrem Mantel und schlüpfte hinein. Ein seltsames Gefühl überkam sie, noch bevor sie die Bewegung ganz zu Ende geführt und sich gleichzeitig zum Ausgang gedreht hatte. Sie hatte nicht vergessen, was Mrs Walsh über ihr Ziel erzählt hatte, und auch nicht ihre Überlegungen, was Isis anging. Und dennoch spürte sie plötzlich eine leise, kribbelnde Erregung, etwas, das ganz tief in ihr zu erwachen begann und von dem sie nur zu gut wusste, dass es stärker werden würde, ganz egal, wie sehr sie auch versuchte, es zu unterdrücken.
»Sie wollen also nicht auf mich hören«, stellte Mrs Walsh fest. Sie klang nicht einmal enttäuscht. Augenscheinlich hatte sie genau diese Reaktion erwartet.
»Ich fürchte, das kann ich nicht«, antwortete Bast in bedauerndem Ton. »Es ist leider richtig, dass ich meine Freundin so schnell wie möglich finden muss. Aber ich danke Ihnen trotzdem für Ihre Warnung. Keine Sorge. Ich kann auf mich aufpassen.«
Mrs Walsh sagte nichts mehr dazu. »Möchten Sie, dass ich Ihnen später noch ein Abendessen zubereite oder Ihnen eine Kanne Tee aufs Zimmer stelle?«, erkundigte sie sich.
»Sagten Sie nicht, es gibt hier nur Frühstück?«
Mrs Walsh lächelte. »Für eine gute Freundin von Jacob mache ich schon mal eine Ausnahme.« Ihr Lächeln wurde eine Spur breiter. »Außerdem muss ich schließlich auch selbst dann und wann etwas essen. Ob ich nun nur für mich koche oder für zwei, macht keinen Unterschied.«
Einen Moment lang wusste Bast nicht, was sie von diesen Worten halten sollte. Mrs Walsh sagte die Wahrheit, das spürte sie – es gab nur sehr wenige Menschen, denen es gelungen wäre, sie zu belügen –, und doch hatte sie das Gefühl, dass da noch mehr war. Als ob sie ihr etwas verheimlichte.
Unsinn! Bast schob den Gedanken fast ärgerlich von sich. Sie war erschöpft und hungrig und müde von der anstrengenden Reise, und die Andeutungen, die Mrs Walsh über Isis und deren Aufenthaltsort gemacht hatte, beunruhigten sie anscheinend mehr, als sie zugeben wollte.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, antwortete sie, »und ich werde sicher morgen oder an einem der nächsten Tage auf Ihr Angebot zurückkommen. Aber ich muss zuerst … ein paar Dinge in Erfahrung bringen. Sie brauchen nicht auf mich zu warten.«
»Die Tür ist immer offen«, antwortete Mrs Walsh. Anscheinend war das Thema damit für sie erledigt. »Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Suche.«
»Und ich werde vorsichtig sein«, fügte Bast hinzu. »Das verspreche ich.«
Damit ging sie, noch bevor die Pensionswirtin Gelegenheit zu einer weiteren Erwiderung fand.
Die Droschke wartete exakt an derselben Stelle vor dem Haus, an der Bast zuvor ausgestiegen war. Arthur hatte bereits die Tür geöffnet und stand lächelnd daneben, und sie ergriff auch jetzt wieder seinen galant ausgestreckten Arm, ließ sich von ihm beim Einsteigen helfen – obwohl er sie im Grunde genommen eher behinderte – und nahm Platz, bevor sie ihm den Zettel reichte, den sie vorhin schon Mrs Walsh gezeigt hatte. Sie war nicht überrascht, einen mindestens ebenso erschrockenen und zweifelnden Ausdruck auf seinem Gesicht zu gewahren, als er die Adresse im schwachen Licht der Gaslaternen entzifferte, doch er sagte nichts, sondern nickte nur, gab ihr den Zettel zurück und schloss die Tür.
Während er nach vorn ging und seine müden Glieder zwang, den Kutschbock zu ersteigen, lehnte sich Bast auf der Bank zurück und warf einen langen, nachdenklichen Blick aus dem Fenster. Das Gefühl einer leisen, erwachenden Erregung tief in ihrer Seele war immer noch da. Einen Moment lang kämpfte sie noch aus reiner Gewohnheit dagegen an, aber sie wusste auch, wie sinnlos dieses Bemühen war.
Und warum eigentlich?
Der Wagen setzte sich knarrend in Bewegung, und Arthur wendete das sperrige Gefährt mit erstaunlichem Geschick auf der schmalen Straße. Bast lauschte in sich hinein und versuchte wider besseres Wissen ein allerletztes Mal, die Vernunft über die Instinkte siegen zu lassen. Aber es war ein halbherziger Versuch, der von vornherein zum Scheitern verurteilt war, und sie hatte ihn im Grunde nur unternommen, weil sie aus irgendeinem absurden Bedürfnis heraus das Gefühl gehabt hatte, ihn sich schuldig zu sein.
Der Wagen rollte auf die breitere, besser gepflasterte Hauptstraße hinaus und wandte sich in östliche Richtung. Basts Blick ging erneut
Weitere Kostenlose Bücher