Anubis 02 - Horus
Gegend.«
»Geht es hier immer so zu?«, fragte Bast, eigentlich aus keinem anderen Grund als dem, überhaupt etwas zu sagen und das Ungeheuer in ihrem Inneren zu besänftigen. Reden half. Nicht viel, aber es half.
»Heute ist Freitag, Miss«, antwortete er. »Da gibt es Lohn. Aber es ist auch sonst keine besonders gute Gegend. Keine, in die ich meine Tochter gehen lassen würde, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Er hatte keine Tochter, wie Bast sehr wohl wusste, aber das sagte sie nicht laut, sondern machte stattdessen nur ein verstehendes Gesicht und gab sich gleichzeitig Mühe, ein ganz kleines bisschen verlegen auszusehen. Es war völlig absurd – aber mit einem Male war es ihr wichtig, was Arthur von ihr dachte.
»Soll ich hier auf Sie warten, Miss?«, fragte der Kutscher, als sich das Schweigen unbehaglich in die Länge zu ziehen begann. »Oder Sie später wieder abholen?«
»Das ist freundlich von Ihnen, Arthur«, antwortete sie. »Aber ich muss … gewisse Erkundigungen einziehen. Mit einigen Leuten reden … vielleicht einer Spur nachgehen …« Sie hob bedauernd die Schultern. »Ich weiß nicht, wie lange es dauert.«
Arthur war unübersehbar erleichtert, dass sie sein Angebot ausgeschlagen hatte, fühlte sich aber auch ebenso offensichtlich unwohl dabei, sie allein hier zurückzulassen.
»Sind Sie für morgen schon bestellt?«, fragte Bast.
Erwartungsgemäß schüttelte er den Kopf. »Ich bin niemals fest gebucht, Miss«, antwortete er. »Ich fahre meine Plätze ab und warte darauf, dass mich jemand braucht.«
Und das nur zu oft ohne Erfolg, dachte Bast bedauernd. Sie lächelte. »Dann kommen Sie doch morgen gegen Mittag zur Pension«, sagte sie. »Ich bin das erste Mal in London, und ich kenne hier niemanden, also werde ich Sie sicher brauchen. Wenn wir uns auf einen angemessenen Preis einigen, kann ich Sie vielleicht für die ganze Zeit meines Aufenthalts hier mieten. Eine Woche, vielleicht sogar zwei.«
»Das wird sicher gehen«, antwortete er überrascht – und fast ein bisschen ungläubig.
Bast öffnete ihren Beutel, um ihn für die Fahrt hierher zu entlohnen, aber er schüttelte rasch den Kopf und hob zusätzlich abwehrend die Hand.
»Das ist nicht nötig, Miss. Ich meine: Wir können das morgen erledigen.«
»Wie Sie wünschen.«
Arthur griff mit beiden Händen nach den Zügeln, knallte aber noch nicht damit, sondern wandte sich noch einmal an sie und machte zugleich eine Kopfbewegung auf das nächstgelegene Lokal, einen winzigen Pub auf der anderen Straßenseite, durch dessen offen stehende Tür rotes Licht auf den Gehsteig fiel. »Wenn Sie schon hier Ihre Erkundigungen einholen müssen, Miss, gehen Sie dorthin«, sagte er. »Das ist zwar auch kein anständiges Lokal, aber am ehesten noch das, in das eine Lady allein gehen kann.« Sein Tonfall machte mehr als klar, dass eine Lady seiner Meinung nach in kein Lokal allein gehen konnte – wenigstens nicht, wenn sie wirklich eine Lady war –, aber Bast spürte die gute Absicht dahinter und schenkte ihm nur noch ein dankbares Lächeln, und endlich griff er wirklich nach seinen Zügeln und fuhr davon.
Sie sah ihm nach, bis der Wagen am Ende der Straße angelangt und verschwunden war. Beiläufig registrierte sie, dass sie anscheinend die Einzige war, die darauf achtete. Die Straße erweckte zwar nicht den Eindruck, aber der Anblick einer Mietdroschke, aus der ein nobel gekleideter Fahrgast stieg, schien hier absolut nichts Besonderes zu sein.
Dafür gewahrte sie nach einem Moment etwas, womit sie hier zuallerletzt gerechnet hatte: einen leibhaftigen englischen Bobby in seinem schwarzen Rock mit den schimmernden Messingknöpfen, dem hohen Hut und einer Trillerpfeife, die an einer weißen Kordel um seinen Hals hing. Bast hatte schon viel von diesen Polizisten gehört und sah ihn ganz unverhohlen neugierig an. Der Mann schlenderte fast gemächlich in ihre Richtung, wobei sein Blick unentwegt, aber offenbar ohne allzu großes Interesse über die Türen der Lokale und die Menschen davor glitt. Er schien weder an der lauten Musik noch an den Betrunkenen oder den in eindeutiger Absicht dastehenden Frauen Anstoß zu nehmen.
Dennoch war Bast nicht wirklich überrascht, als der Polizist mit einem plötzlichen Stirnrunzeln die Richtung änderte und geradewegs auf sie zusteuerte. Flüchtig fragte er sich, wozu er überhaupt hier war und wen er eigentlich vor wem beschützen sollte, verzichtete aber darauf, diesen Gedanken bis zu seinem
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