Anubis 02 - Horus
Freunde wieder hier auftauchen, werden wir sie entsprechend in Empfang nehmen.«
»Diese Männer sind nicht meine Freunde, Inspektor«, antwortete Bast ernst. »Und ich kann Sie nur warnen. Sie wissen nicht, womit Sie es zu tun haben.«
»Dann verraten Sie es mir endlich«, sagte Abberline. Seine Stimme klang plötzlich wieder scharf, fast fordernd, aber zugleich und auf einer tieferen, unterschwelligen Ebene hörte Bast auch einen genau gegenteiligen Ton darin, beinahe etwas wie ein Flehen. Sie wusste nicht, warum, aber sie hatte das Gefühl, dass Abberline geradezu verzweifelt darum bemüht war, ihr nicht nur zu glauben, sondern ihr auch zu vertrauen. Vielleicht hatte es irgendetwas mit dem zu tun, was Maistowe ihm – möglicherweise – über sie erzählt hatte, aber vielleicht spürte er auch einfach, dass sie auf seiner Seite stand.
»Später«, sagte sie. »Sobald wir …«, sie deutete eine Kopfbewegung zu Jones hin an, »… allein sind.«
»Sie sollten den Bogen nicht überspannen, Miss Bast«, sagte Abberline ernst. »Ich habe schon mehr für Sie getan, als ich dürfte. Mehr, als ich eigentlich will.« Er beließ es dabei, aber sein Blick machte klar, wie ernst er diese Worte meinte.
Bast schenkte ihm ein knappes, aber sehr dankbares Lächeln, wandte sich um und machte einen einzelnen Schritt auf den Ausgang zu – und einer der beiden mumifizierten Nildrachen, die den Altar bewachten, stieß sich mit einer einzigen, unvorstellbar kraftvollen Bewegung ab, stürzte sich auf Konstabler Jones und biss ihm beide Beine dicht unterhalb der Knie ab.
Jones schrie, ein schrilles, kaum noch menschlich klingendes Kreischen, fiel mit wild peitschenden Armen nach hinten und warf den Kopf hin und her. Blutiger Schaum erschien auf seinen Lippen, und er begann wie von Sinnen mit den Beinen zu strampeln und um sich zu schlagen, sodass das Blut aus seinen abgerissenen Arterien wie Wasser aus einem gewaltsam durchtrennten Feuerwehrschlauch spritzte und Bast und Abberline besudelte. Der Drache machte eine zweite, blitzartige Bewegung und begrub den wie von Sinnen um sich schlagenden Konstabler unter sich. Diesmal schlossen sich seine schrecklichen Kiefer um Jones’ Kopf und Schultern, und seine grauenhaften Schreie hörten endlich auf.
Das geschah in der ersten Sekunde einer nicht enden wollenden Ewigkeit, in der die Zeit einfach stehen zu bleiben schien und Bast zu nichts anderem fähig war als einfach dazustehen und das unfassbare Bild anzustarren und sich fast hysterisch zu fragen, wieso sie die Nähe der Bestie nicht gespürt hatte.
Erst dann begriff sie, dass sie sie nicht einmal jetzt spürte.
Es war, als wäre das Ungeheuer gar nicht da. Sie konnte es sehen, jede einzelne seiner eisenharten, nass glänzenden Schuppen und die reine Mordgier in seinen Augen, sie nahm seinen scharfen Reptiliengestank wahr und hörte die schrecklichen reißenden Laute, mit denen die stumpfen Zähne große, nasse Fleischfetzen aus Jones’ verstümmeltem Leib rissen, sie roch das warme Blut, das noch immer in Strömen aus seinem sterbenden Körper herausfloss und den lähmenden Schrecken, der Abberline neben ihr durchfuhr, aber was sie nicht spürte, das war die Bestie selbst. Wenn da auch nur ein Funke von Leben in ihr war, und sei er noch so primitiv und mörderisch, dann hätte sie ihn spüren müssen.
Aber da war nichts. Es war, als wäre das Ungeheuer gar nicht da.
Und das war es auch nicht.
Doch diese Erkenntnis kam zu spät. Bast fuhr mit einem warnenden Schrei auf den Lippen herum, warf sich auf Abberline und riss ihn von den Füßen, doch so schnell sie auch war, reagierte sie dennoch nicht schnell genug. Abberline hatte seine Waffe hervorgezerrt und schoss aus allernächster Nähe auf den Drachen, und Bast sah aus den Augenwinkeln, wie die Kugel ein sauberes Loch in dessen Hinterkopf stanzte und den gepanzerten Leib durchschlug, als bestünde er aus mürbem Papier, dann prallte sie gegen ihn und riss ihn von den Füßen. Abberlines Revolver flog im hohen Bogen davon und verschwand in der Dunkelheit, und auch die Lampe fiel mit einem lang anhaltenden hellen Klirren zu Boden und rollte davon, wie durch ein Wunder allerdings, ohne zu zerbrechen.
»Sind Sie wahnsinnig geworden?«, keuchte Abberline. »Was soll denn das? Lassen Sie mich los, verdammt noch mal!«
Bast ließ ihn los, allerdings erst, nachdem sie ihn noch einige weitere Sekunden zu Boden gedrückt und sich überzeugt hatte, dass er nicht nach ihr schlagen
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