Anubis 02 - Horus
die Sonne demnächst im Westen aufging; und nach allem, was Bast in den letzten zwei Minuten erlebt hatte, würde sie ihr wahrscheinlich sogar glauben.
»Waren Sie erfolgreich?«, fragte Mrs Walsh.
»Erfolgreich? Wobei?«
»Bei Ihren Besorgungen.« Mrs Walsh machte eine Kopfbewegung zu Cindy. »Sie hat erzählt, dass sie in einer dringenden Angelegenheit wegmussten. Ich hoffe doch, dass es nichts damit zu tun hatte.«
Bast verstand nicht einmal, wovon sie sprach, bis sie ihrem Blick folgte und sah, dass ihr Mantel immer noch weit genug offen stand, dass man das Schwert sehen konnte.
»Oh nein, sicher nicht«, sagte sie hastig. »Jedenfalls nicht so, wie Sie vielleicht befürchten.«
»Soll heißen?«
»Ich … habe mich mit einem Kunsthändler getroffen, der es vielleicht kaufen wird«, improvisierte Bast. »Man sieht es ihm nicht an, aber es ist sehr alt und sehr kostbar.«
»Und eine solche Kostbarkeit tragen Sie einfach so mit sich herum?«, fragte Mrs Walsh kopfschüttelnd, winkte zugleich aber auch ab. »Nun gut, ich weiß ja, das Sie sich Ihrer Haut wehren können. Und ich nehme an, Ihre Angelegenheit war wichtig. Sonst hätten Sie unseren Gast bestimmt nicht allein gelassen.«
»Sie hat mir versprochen, nicht wegzulaufen und auch nichts anzustellen«, antwortete Bast. »Sie hat doch Wort gehalten?«
»Das hat sie«, bestätigte Mrs Walsh. »Aber darüber reden wir später. Sind Sie vielleicht so freundlich und gehen mir ein bisschen dabei zur Hand, den Tisch zu decken?«
Maistowe erschien tatsächlich pünktlich zum Mittagessen – oder vielleicht auch gerade noch im letzten Augenblick, um sich ein Donnerwetter zu ersparen. Das Essen stand bereits auf dem Tisch, und Mrs Walshs Miene hatte sich mit jeder Minute weiter verdüstert, die sich der Zeiger der Uhr der Zwölf genähert hatte, aber er kam buchstäblich im allerletzten Augenblick, und so beließ Mrs Walsh es bei einem stummen, fast triumphierenden Blick in Basts Richtung. Nach dem obligatorischen Tischgebet, das Mrs Walsh mit aller Strenge zelebrierte, aßen sie in Schweigen. Bast spürte sehr wohl, dass Maistowe die Neuigkeiten, die er mitgebracht hatte, auf der Zunge brannten, und ganz offensichtlich wartete auch Mrs Walsh nur darauf, dass sie eine entsprechende Frage stellte, aber sie war noch immer zutiefst verwirrt. Ihr Gespräch mit Isis ging ihr nicht aus dem Sinn, doch je länger sie darüber nachdachte, desto weniger Sinn schien das meiste von dem zu ergeben, was sie gesagt hatte. Und desto schlimmer wurde der Schmerz, der tief in ihr wühlte.
Schließlich waren sie beim Dessert angelangt – etwas, das sich Plumpudding nannte und das ausnehmend scheußlich schmeckte; was Bast aber wohlweislich für sich behielt, als sie Maistowes und Mrs Walshs verzückten Gesichtsausdruck registrierte –, und Maistowe lehnte sich genießerisch zurück und zündete sich ein Zigarillo an.
»Das war wirklich köstlich«, sagte er. »Mein Kompliment, Gloria. Ich wusste ja, dass Sie eine hervorragende Köchin sind, aber heute haben Sie sich selbst übertroffen.«
Mrs Walsh nickte geschmeichelt, und Maistowe nahm einen tiefen Zug aus seinem Zigarillo, blies das Streichholz aus und schnippte es zielsicher eine Handbreit neben den Kamin, bevor er sich direkt an Bast wandte. »Hat es Ihnen auch geschmeckt?«
»Hervorragend«, beeilte sich Bast zu versichern.
»Das freut mich«, antwortete Maistowe. »Zumal dieses Festmahl nicht ganz ohne Grund stattgefunden hat.«
»So?«, fragte Bast.
»Nun ja, um ehrlich zu sein, ist es eher ein … privater Grund. Aber es gehört bei uns schon seit einer geraumen Weile dazu, dass Gloria eine ganz besondere Mahlzeit zubereitet, bevor ich wieder in See steche. Als kleines … Abschiedsgeschenk, wenn Sie so wollen.«
»So?«, fragte Bast noch einmal. Sie fragte sich, worauf Maistowe hinauswollte.
»Ich war den ganzen Morgen im Hafen, um mit einigen Leuten zu sprechen«, sagte Maistowe, nachdem er endlich eingesehen hatte, dass sie ihm nicht den Gefallen tun und eine entsprechende Frage stellen würde. »Es war nicht leicht, und ich musste eine Menge alter Schulden einfordern, aber am Ende ist es mir gelungen, eine Fracht für die Lady aufzutreiben und unsere Abfahrt vorzuverlegen. Sie wird bereits beladen, und heute Nachmittag werden Lebensmittel und Wasser gebunkert. Das größte Problem dürfte sein, die komplette Mannschaft zusammenzutrommeln, aber ich bin sicher, dass wir die meisten in den einschlägigen
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