Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Cindys Augen.
    »Dann gehen wir in einer Stunde zu Vater McNeill«, bestimmte Mrs Walsh. »Ich nehme doch an, dass Sie uns begleiten?«

    Draußen war wieder die ungewöhnlich lange, diesige Abenddämmerung dieses Landes angebrochen, an die Bast sich wohl nie gewöhnen würde, ganz egal, wie sehr sie es auch versuchte.
    Sie hatte es allerdings nicht besonders nachdrücklich versucht, und sie war auch nicht sicher, ob sie sich überhaupt daran gewöhnen wollte. In ihrer Heimat dauerte die Dämmerung allenfalls Minuten. Manchmal wurde es buchstäblich von einem Augenblick zum anderen finster, und nach Basts persönlichem Geschmack war das auch vollkommen richtig. Es gab den Tag, und es gab die Nacht, und was dazwischen lag, das war so unnötig und lästig wie eine Stunde, in der man sich zu Bett legt und vergeblich versucht, den Schlaf herbeizuzwingen. Dieses langsam verblassende Grau auf der anderen Seite der Fenster kam ihr vor wie ein lautloser erbitterter Kampf, den sich Tag und Nacht immer aufs Neue lieferten und in dem sich nicht nur die Umrisse der Dinge, sondern die Wirklichkeit aufzulösen schien. Selbst der Bobby, der noch immer auf der anderen Straßenseite stand und das Haus beobachtete, begann allmählich zu einem grauen Gespenst mit zerfließenden Konturen zu verblassen. Aber es war noch immer derselbe Beamte wie heute Morgen. Monro mutete seinen Untergebenen offensichtlich ziemlich lange Dienstzeiten zu.
    »Wonach suchst du?«
    Bast wandte sich mit einem fast erschrocken wirkenden Ruck vom Fenster ab und in Cindys Richtung. Sie hatte nicht gehört, dass das Mädchen hereingekommen war und ärgerte sich schon wieder über sich selbst, diese kleine Unaufmerksamkeit zugelassen zu haben.
    »Nichts«, antwortete sie. »Ich habe nur die Dämmerung beobachtet.«
    »Die Dämmerung?« Cindy ging mit schnellen Schritten an ihr vorbei und stellte sich auf die Zehenspitzen, um nicht nur aus dem Fenster zu sehen, sondern auch auf den gegenüber liegenden Bürgersteig hinab. »Du meinst den Konstabler.«
    »Nein«, sagte Bast. »Die Dämmerung.«
    »Was gibt’s denn daran zu beobachten?«, fragte Cindy stirnrunzelnd.
    »Sie dauert sehr lange. In meiner Heimat geht die Sonne so schnell unter, dass man dabei zusehen kann, weißt du? Hier dauert es viel länger. Es ist richtig unheimlich.«
    »Der Nebel ist unheimlich«, sagte Cindy. »Hast du schon einmal richtigen Londoner Nebel erlebt?«
    »Ja«, antwortete Bast, schüttelte gleich darauf den Kopf und verbesserte sich. »Nein. Ich meine, ich habe schon Nebel erlebt, auch hier, aber ich glaube nicht, dass es das war, was die Leute meinen, wenn sie vom Londoner Nebel reden.«
    »Ganz bestimmt nicht«, versicherte Cindy. »Die Suppe ist unheimlich. Du kannst keine zehn Schritte weit sehen, und sie verschluckt jedes Geräusch. Aber es ist gut fürs Geschäft.«
    »Der Nebel?«
    »Sicher. Wenn es richtig neblig ist, kommen manchmal die besten Kunden.« Sie lachte leise. »Du glaubst ja nicht, wie viele feine Pinkel glauben, niemand würde sie kommen sehen, wenn sie sich im Schutz des Nebels nach Whitechapel schleichen.«
    »Gute Kunden wie der von vorgestern?«, fragte Bast.
    Sie hatte damit gerechnet, dass Cindy wütend würde, oder zumindest verstimmt, aber sie zuckte nur mit den Schultern. »So schlimm war er gar nicht«, behauptete sie. »Er hat immer gut gezahlt, und es gibt andere, die viel ekligere Sachen von mir verlangt haben.«
    »Ekliger als sich halb tot schlagen zu lassen?«, zweifelte Bast.
    »So schlimm war es nicht«, sagte Cindy noch einmal. »Okay, das letzte Mal hat er es ein bisschen übertrieben, aber das hast du ihm ja ganz schön heimgezahlt.« Sie sah Bast nachdenklich an. »Weiß du eigentlich, wen du da verprügelt hast?«
    »Auf jeden Fall einen einflussreichen Mann«, antwortete Bast. »Aber mach dir keine Sorgen – du wirst ihn nicht wiedersehen. Hast du dich entschieden?«
    Jetzt reagierte Cindy doch. Ihre Miene wirkte plötzlich wieder verstockt. »Als ob ich was zu sagen hätte!«, schnaubte sie. »Ich geh jedenfalls nicht zu diesem Pfaffen.«
    »Warum nicht?«, fragte Bast. »Vater McNeill ist doch sehr nett.« Sie meinte das ernst. Cindy, Mrs Walsh und sie waren am Nachmittag tatsächlich bei Vater McNeill gewesen, einem weißhaarigen alten Mann, bibelfest und strenggläubig, aber nicht fanatisch, und schon gar nicht weltfremd. Ganz im Gegenteil hatte er sich als ebenso warmherziger wie humorvoller Mensch erwiesen, der sich Cindys

Weitere Kostenlose Bücher