Anubis 02 - Horus
loszureißen.
Aber nur beinahe, und nach einem weiteren Moment waren auch seine Kräfte erschöpft. Das letzte bisschen Leben, das noch in ihm war, ging in Bast über, und die Flamme erlosch.
Und nur einen Augenblick später auch ihr Bewusstsein.
SIEBTES Kapitel
Graues Zwielicht umgab sie, als sie erwachte, und es war kalt, eine klamme, kriechende Kälte, die nicht einmal besonders intensiv war, auf eine schwer in Worte zu fassende Weise aber ganz besonders unangenehm. Sie musste an Nebel denken und sonderbar formlose Gestalten, die sich darin bewegten, und vielleicht zum allerersten Mal in ihrem so unendlich langen Leben erwachte sie mit klopfendem Herzen und von Angst geschüttelt. Wirre Bilder und ungekannte grässliche Visionen lieferten sich einen stummen Kampf hinter ihrer Stirn, und sie zitterte am ganzen Leib.
»Du musst nicht so tun, als ob du noch schläfst«, sagte eine helle Stimme. »Ich weiß, dass du wach bist. Schon eine ganze Weile.« Bast wusste nicht, was unter einer ganzen Weile zu verstehen war, aber nach ihrem Dafürhalten waren erst wenige Sekunden vergangen, seit sie aufgewacht war. Viel interessanter war die Frage, wie lange sie bewusstlos gewesen war. Draußen wurde es schon wieder hell. Möglicherweise auch schon wieder dunkel … oder auch schon zum zweiten Mal hell … Bast lauschte einen Moment in sich hinein und stellte erschrocken fest, dass sie ihr Zeitgefühl verloren hatte. Mit ziemlicher Sicherheit war nur diese eine Nacht vergangen, aber das sagte ihr einzig ihre Logik.
»Wenn du weiter die Schweigsame spielen willst, dann gehe ich jetzt eben und hole Mrs Walsh«, fuhr Cindy trotzig fort. »Vielleicht redest du ja lieber mit der.«
Bast hatte bisher nicht einmal in ihre Richtung geblickt, sondern das schmale, ganz allmählich heller werdende Rechteck des Fensters angestarrt, aber sie hörte, wie Cindy sich herumdrehte und zur Tür ging und drehte nun rasch den Kopf in den Kissen. »Warte.«
Cindy blieb tatsächlich stehen und drehte sich zu ihr herum, kam aber nicht zurück. Sie versuchte trotzig auszusehen, aber es gelang ihr nicht, die Mischung aus Sorge und Erleichterung ganz zu verhehlen, die sie empfand. Sie sah schlecht aus, müde und ausgezehrt, und Bast musste nicht fragen, um zu wissen, dass sie die ganze Nacht an ihrem Bett gesessen hatte.
»Was ist?« Cindy legte den Kopf auf die Seite.
»Wie lange …«, Bast deutete zum Fenster, »… habe ich geschlafen?«
»Geschlafen ist gut.« Cindy schnaubte. »Wir haben ein paar Mal gedacht, du springst über die Klinge. Wenigstens hat Mrs Walsh das gedacht … Die ganze Nacht eben. Es ist Morgen und wird schon hell. Eigentlich müsste es schon hell sein, aber der Nebel will sich nicht verziehen.«
»Und du hast die ganze Nacht auf mich aufgepasst? Vielen Dank.«
»Einer musste es ja tun«, antwortete Cindy großspurig, wirkte aber gleich darauf plötzlich verlegen und wandte sich hastig wieder zur Tür. »Ich gehe jetzt und hole Mrs Walsh. Sie hat gesagt, dass ich sie sofort rufen soll, wenn du aufwachst, und das tue ich besser.«
Sie verschwand, bevor Bast noch etwas sagen konnte, und sie hörte, wie sich ihre schnellen Schritte draußen auf dem Flur entfernten. Das Haus war sehr still. Obwohl Bast konzentriert lauschte, konnte sie nichts außer Cindys leiser werdenden Schritten hören, und auch von draußen drang nicht der mindeste Laut herein. Wahrscheinlich dämpfte der Nebel alle Geräusche.
Bast versuchte vorsichtig, sich zu bewegen und registrierte überrascht, wie leicht es ihr fiel. Überhaupt fühlte sie sich erstaunlich ausgeruht und kräftig. Die Schwere, die nach ihrem Erwachen in ihren Gliedern gewesen war, war eine fast angenehme Mattigkeit, wie man sie manchmal nach einem langen und ganz besonders erfrischenden Schlaf empfindet, keine Erschöpfung, und auch die wirren Bilder und Visionen verwehten wie Spinnweben, die noch einen Moment im Morgentau glitzerten und dann zerrissen.
Trotzdem war sie sehr vorsichtig, als sie sich aufsetzte und die Decke zurückschlug. Sie wurde mit einem … sehr sonderbaren Anblick belohnt. Sie war nackt, und was von ihrem Körper zu sehen war, war offensichtlich frisch gewaschen. Um ihre Leibesmitte spannte sich ein breiter, blütenweißer Verband, und auch ihr rechter Unterarm war bandagiert, wo sie die Schrotkugeln getroffen hatten. Ihr rechtes Knie und der Oberschenkel waren ebenfalls frisch verbunden. Seltsam – sie konnte sich gar nicht erinnern, dort verletzt
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