Anubis 02 - Horus
worden zu sein.
Aber genau genommen konnte sie sich ohnehin nur an sehr wenig erinnern …
Sie hatte Ben getötet, das war ihre letzte wirklich klare Erinnerung, dies und ein vages Gefühl von Bedauern, das sie dabei empfunden hatte. Sie hatte ihn nicht töten wollen, so wenig, wie er sie. Dennoch hatte sie es ohne zu zögern getan, so wie auch er sie umgebracht hätte, wäre sie nicht schneller gewesen. Aber das war keine persönliche Sache zwischen ihnen. Sie waren niemals Feinde gewesen, sondern nur Krieger, die auf verschiedenen Seiten kämpften. Die Zweitälteste Geschichte der Welt. Vielleicht sogar die älteste.
Ein halblautes Räuspern erklang, und Bast fuhr aus ihren Gedanken hoch und zog hastig die Decke wieder bis zu den Schultern hoch, als sie nicht nur Mrs Walsh unter der Tür erblickte, sondern auch Kapitän Maistowe, der einen weißen Verband um die Stirn trug und vor Verlegenheit nicht wusste, wohin mit seinem Blick.
»Sie sind wach«, sagte Mrs Walsh. »Das freut mich. Und Sie sehen zumindest aus, als ob es Ihnen schon besser ginge.«
Bast war nicht ganz sicher – aber da schien ein Unterton in Mrs Walshs Stimme zu sein, der nicht hineingehörte, und in ihrem Blick war zwar dieselbe Mischung aus Sorge und vorsichtiger Erleichterung zu lesen wie in dem Cindys gerade, aber auch … noch etwas.
»Es geht mir besser«, bestätigte Bast.
»Stellen Sie sich vor, das weiß ich, meine Liebe«, antwortete Mrs Walsh. »Fühlen Sie sich kräftig genug, mit uns zu reden, oder brauchen Sie noch eine Weile, um zu Kräften zu kommen?«
Jetzt war sie sicher, sich den neuen Unterton in Mrs Walshs Stimme nicht nur einzubilden. Und auch in ihrem Blick war eine Kühle, die sie bisher noch nie darin bemerkt hatte.
»Kein Problem«, antwortete sie. »Ich wollte auch gerade …«
»Dann dürfen wir vielleicht hereinkommen.« Mrs Walsh trat vollends ein, und Maistowe folgte ihr auf dem Fuße, doch als sich auch Cindy anschließen wollte, schüttelte sie rasch den Kopf und machte eine zusätzliche, abwehrende Handbewegung.
»Sei doch so gut und warte unten im Salon auf uns, mein Kind«, sagte sie. »Oder noch besser: Geh in die Küche und setz einen Kessel Wasser auf den Herd. Ich bin sicher, dass sich Miss Bast über eine heiße Tasse Tee freuen wird.«
»Ihr wollt nur nicht, dass ich höre, was ihr redet«, sagte Cindy salzig.
»Das mag schon sein«, erwiderte Mrs Walsh gelassen. »Es gibt Dinge, die Kinder nichts angehen. Und nun geh und kümmere dich um den Tee – bitte.«
Cindy funkelte sie noch einen Moment trotzig an, aber dann fuhr sie auf dem Absatz herum und stampfte wütend davon. Mrs Walsh schüttelte wortlos den Kopf und schloss die Tür hinter ihr.
»Ich fürchte, jetzt haben Sie sie ernsthaft gekränkt«, sagte Bast lächelnd. »Sie hasst es, wenn man sie als Kind bezeichnet.«
»Der Umstand, dass dieses Geschöpf Dinge mit ansehen musste, die keine erwachsene Frau auf der Welt jemals erleben sollte, macht sie nicht automatisch zu einer Erwachsenen«, belehrte sie Mrs Walsh. »Aber ich möchte jetzt nicht über Cindy sprechen, sondern über Sie. Würden Sie uns einige Fragen beantworten?«
Sie deutete auf Maistowe und sich, und als Bast nickte, zog sie sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf nieder. Maistowe tat auf der anderen Seite des Bettes dasselbe, aber Bast konnte ihm ansehen, wie wenig wohl er sich in seiner Haut fühlte. Bast sah Mrs Walsh und ihn mit wachsender Beunruhigung an. War irgendetwas geschehen, während sie bewusstlos gewesen war?
»Ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt«, sagte sie unsicher. »Für Ihre … Hilfe.« Sie ließ es offen, ob sie Mrs Walshs überraschendes Eingreifen mit dem Messer meinte oder die Tatsache, dass sie sich danach um sie gekümmert hatte.
»Ich habe getan, was ich konnte«, erwiderte Mrs Walsh. »Aber ich bin nicht einmal sicher, ob es wirklich notwendig gewesen wäre.«
»Was … meinen Sie damit?«, fragte Bast zögernd.
»Im Grunde habe ich nur eine einzige Frage an Sie«, antwortete Mrs Walsh. »Und ich möchte Sie bitten, sie mir wirklich ehrlich zu beantworten … selbst wenn Sie der Meinung sein sollten, dass die Antwort mir nicht gefällt.«
»Dazu müsste ich Ihre Frage erst einmal kennen«, meinte Bast sanft.
Mrs Walsh hielt ihrem Blick stand, auch wenn sie ihr ansehen konnte, wie schwer es ihr fiel. »Sie ist im Grunde ganz einfach«, antwortete sie. »Wer sind Sie? Ich meine: Wer sind Sie wirklich … oder sollte
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