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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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vergewisserte sich Miss Preussler. »Das sind gottlose Kreaturen, Doktor Graves. Sie haben kein Recht, unter den Augen des HERRN zu wandeln.«
    »Was haben Sie hinter dieser Tür gesehen?«, beharrte Graves.
    »Mehr als ich wollte«, antwortete sie. »Mehr als irgendein Mensch sehen sollte. Diese Ungeheuer … Es … es waren so viele. So unglaublich viele.«
    Mogens tauschte einen raschen, beunruhigten Blick mit Tom. Er hatte gewusst, dass sie es mit mehr als nur einer dieser unheimlichen Kreaturen zu tun hatten – seit gestern Nacht wenigsten wussten sie, dass es mindestens drei waren –, aber viele ?
    »Viele?«, fragte er.
    »Dutzende«, antwortete Miss Preussler. Ihre Stimme wurde leiser, und etwas von der Dunkelheit kehrte zurück, die Mogens vorhin in ihren Augen gesehen hatte. »Wenn nicht Hunderte. Ich konnte nicht alles sehen. Sie hatten mich gepackt und … und ich hatte auch Angst. Es war alles so schrecklich.«
    »Sie müssen nicht darüber reden, wenn Sie nicht wollen, Miss Preussler«, sagte Mogens leise.
    Graves bedachte ihn mit einem Blick, den er fast körperlich zwischen den Schulterblättern spüren konnte, aber Miss Preussler schüttelte nur den Kopf, warf ihm einen raschen, dankbaren Blick zu und fuhr dann, an Graves gewandt, fort: »Ich kann Ihnen nicht viel mehr sagen, Doktor. Ich hatte große Angst, und es war sehr dunkel dort unten. Aber es gibt viele von diesen Kreaturen. Sehr viele. Sagen Sie mir, dass Sie sie vernichten werden.«
    Graves schwieg.
    »Wie sind Sie ihnen entkommen?«, fragte Tom fast hastig.
    »Ich bin ihnen nicht entkommen«, antwortete Miss Preussler.
    »Nicht entkommen?«, fragte Graves. »Was meinen Sie damit?«
    Die Dunkelheit in ihren Augen war nicht nur wieder da, sie nahm zu. »Sie … sie haben mich an diesen schrecklichen Ort geschleift«, sagte sie leise. »Ich glaube, ich muss kurz in Ohnmacht gefallen sein. Es ging eine Treppe hinunter, eine sehr lange Treppe, das weiß ich noch. Dann war da ein Haus, und …« Ihre Stimme versagte. Ihr Griff war mit einem Mal so fest, dass es wehtat, aber Mogens gab keinen Laut der Klage von sich, und er unternahm auch keinen Versuch, seine Hand zu befreien. Er konnte spüren, wie unendlich schwer es Miss Preussler fiel, weiter zu sprechen. Aber vielleicht musste sie es zugleich auch, um nicht an den schrecklichen Bildern zu zerbrechen, die die Frage aus ihrer Erinnerung heraufbeschworen hatte.
    »Überall waren diese Kreaturen«, fuhr sie mit leiser, zitternder Stimme fort. »Sie … sie haben mir die … die Kleider vom Leib gerissen. Alle Kleider. Ich meine … ich … ich war sicher, sie würden mich töten. Ich war ganz sicher. Aber sie haben mich nur … nur angefasst und beschnüffelt .«
    »Beschnüffelt?«, vergewisserte sich Graves. Er klang interessiert, fand Mogens – aber eigentlich nicht sonderlich überrascht.
    »Ja«, sagte Miss Preussler. Sie schluckte ein paarmal schwer, und ihr Blick schien nun geradewegs durch ihn hindurchzugehen, an einen Ort noch jenseits der Dunkelheit. »Es war so schrecklich. So … so entwürdigend. Sie haben mich überall beschnüffelt, ich meine … wirklich überall . Ich … ich wollte sterben vor Scham, aber ich konnte nichts tun.«
    »Schon gut«, sagte Mogens sanft. »Es waren nur Tiere, Miss Preussler. Nur ein paar hirnlose Ungeheuer. Es muss Ihnen nicht peinlich sein.«
    »Und dann haben sie Sie einfach gehen lassen?«, fragte Graves.
    »Nein«, antwortete Miss Preussler. »Irgendwann sind mir die Sinne geschwunden. Ich bin oben auf dem Friedhof wieder wach geworden. Die Kreaturen waren nicht mehr da.«
    »Und dann hat Sheriff Wilson Sie gefunden«, vermutete Mogens.
    Miss Preussler presste die Lippen aufeinander. Mogens konnte nicht anders, als die Kraft dieser Frau zu bewundern, aber er sah dennoch plötzlich Tränen in ihren Augen schimmern. »Es war so … so … entwürdigend«, flüsterte sie mit bebender Stimme. »Ich schäme mich so.«
    »Das brauchen Sie nicht«, sagte Mogens sanft. »Es ist alles vorbei. Ruhen Sie sich ein wenig aus, und später wird Tom uns dann mit dem Wagen in die Stadt fahren. Mit ein wenig Glück sitzen wir heute Abend schon in einem Zug, der uns nach Hause bringt.«
    »Aber das geht nicht, Professor«, sagte Miss Preussler.
    »Was?«, fragte Mogens.
    »Wir können nicht einfach davonlaufen«, erklärte Miss Preussler. »Es geht nicht nur um mich, Professor. Ich habe dort unten … noch etwas gesehen.«
    »Was?«, fragte

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