Anwältin der Engel
»Niemand«, antwortete sie. »Verpissen Sie sich, ja? Verpissen Sie sich einfach.«
Bree ergriff Lindseys Hände und hielt sie fest. »Lügen Sie mich nicht an, Lindsey. Wenn Sie mich anlügen, kann ich Ihnen in keiner Weise helfen.«
»Lassen Sie mich in Ruhe!«, schrie Lindsey.
»Dieser Freund von Ihnen … Chad Martinelli … « Lindsey kniff den Mund zusammen.
»Ich überprüfe ihn wegen einiger schlimmer Dinge, Lindsey. Wenn er Ihnen bei dieser Sache geholfen hat, ist er möglicherweise für den Tod Ihres Vaters verantwortlich. Und möglicherweise hat er auch die arme Mrs. Chavez umgebracht.«
»Jemand soll meinen Dad umgebracht haben?«, rief Lindsey.
»Miss Winston-Beaufort! Hören Sie sofort auf!« Bree seufzte. Weniger als zwanzig Minuten. Das Security-Teamwar scharfsinniger, als sie angenommen hatte. Sie erhob sich und trat auf Miss Henry und die beiden bulligen Männer in ihrem Schlepptau zu. »Ich werde sehen, was ich tun kann, um das in Ordnung zu bringen, Lindsey. Aber ich muss mit Chad reden. Haben Sie eine Ahnung, wo er heute sein könnte?«
Violet Henry machte ruckartig – indem sie sozusagen viel Staub aufwirbelte – vor ihnen halt, was Bree an den Road Runner aus den Zeichentrickfilmen erinnerte. Sie unterdrückte den Impuls, piep, piep zu sagen.
»Wie sind Sie hier reingekommen?«, fragte die Direktorin. Sie war wütend, und zwar auf eine sehr südstaatendamenhafte Weise. Ihre Stimme war gedämpft, ihr Lächeln wie erstarrt. Jedes einzelne Haar ihrer Frisur war genau dort, wo es hingehörte. Doch sie hatte ihre Jacke falsch zugeknöpft, und an ihrem Kinn klebte etwas Bratensoße. Offenbar war sie beim Essen gestört worden. Die zwei Wachleute, die hinter ihr standen, legten die Hand ans Pistolenhalfter und blickten bedrohlich drein.
»Sie ist meine Rechtsanwältin«, meldete sich Lindsey zu Wort. »Sie ist meine Rechtsanwältin, und ich habe sie hergebeten.« Trotzig verschränkte sie die Arme. »Also verpissen Sie sich, ja?«
Bree biss sich auf die Lippe. »Ich bin sicher, dass Lindsey diesen Ausdruck bedauert, Miss Henry. Aber ich kann nicht umhin, mich ihrer Meinung anzuschließen.«
Lindsey verdrehte die Augen. »Reden Sie mit Madison, Bree. Okay? Sie wird Ihnen sagen, dass Chad nicht das Geringste damit zu tun hatte.« Sie schluckte schwer. »Sie ist meine beste Freundin. Sie weiß, dass ich … auchnichts damit zu tun hatte. Ich weiß, dass Sie mir nicht glauben werden, aber ihr glauben immer alle.«
»Verschwinden Sie, Miss Beaufort«, presste Miss Henry zwischen den Zähnen hervor. »Auf der Stelle.« Und das tat Bree auch.
»Sie ist nicht da«, sagte Andrea Bellamy, als Bree sie zwanzig Minuten später mit dem Handy anrief. »Mittwochs arbeitet sie nach der Schule immer ehrenamtlich im Krankenhaus.«
»Bis wann?«
»Vier Uhr dreißig. Danach geht sie schwimmen. Vorher holt sie Hartley ab.«
Bree saß in ihrem Auto. Nachdem man sie in Rekordzeit aus der Academy rausgeschmissen hatte, war sie gegen sechs wieder in Savannah angekommen. Der neben ihr liegende Sascha gähnte. Bellum und Miles saßen kerzengerade auf dem Rücksitz und starrten auf die Straße hinaus. Als sie den versprochenen Spaziergang verschoben hatte, hatten die drei Hunde sie nur verständnislos angesehen. »Hartley Williams?«, sagte sie zu Andrea. »Die Tochter des Richters?« Bree hatte vermutet, dass Cordy bei der ganzen Sophie-Chavez-Geschichte so schnell einen Rückzieher gemacht hatte, weil ebendieser Herr ein paar diskrete Telefonate geführt hatte.
»Ist ihr Vater Richter?«, gab Andrea beeindruckt zurück. »Ich dachte, der hätte irgendein Geschäft. Ach nein, stimmt ja gar nicht. Das ist ihr Stiefvater. Richter! Ist ja nicht zu fassen!«
»Lebt sie bei ihrer Mutter oder bei ihrem Vater?«
»Oh, bei ihrer Mom. Die ich kenne. Ist ja nicht zu glauben, dass Dorcas einem Richter den Laufpass gegeben hat. Nach dem, was ich gehört habe, will sie allerdings auch dem zweiten Mann den Laufpass geben.«
Bree gab sich alle Mühe, ihre Ungeduld zu zügeln. »Wissen Sie die Adresse?«
»Klar. Moment mal.« Klappernd legte Andrea den Hörer hin, um ihn kurz darauf wieder aufzunehmen. »Das ist eine Wohnsiedlung in der Nähe der Oglethorpe Mall. Trail View 22. Ich bin schon mal dort gewesen. Wenn man in die Siedlung kommt, ist das die erste Querstraße rechts.«
Bree wollte mit Madison lieber an einem Ort sprechen, der weniger öffentlich war als das Krankenhaus oder das Schwimmbad.
Weitere Kostenlose Bücher