Anwaltshure 3
Stimme. Er holte Luft, was ihm offenbar äußerst schwer fiel, denn sein Brustkorb machte ein rasselndes Geräusch.
»Ich habe keine Schuhe an und keine Klamotten.« Ich blickte zum halbnackten Derek, meinem Fluchtgefährten.
Über dem kleinen Backsteinhaus prangte ein Schild, auf dem »B&B« stand und das mit einem Bündel Heidekraut aus Ton geschmückt war. Ich seufzte. Genau diese Art von Gastgeber, die sich über nackte Gäste wie uns freuen würden.
»Sie werden unseren Trauschein sehen wollen«, bemerkte ich knapp.
Dereks Brust hob und senkte sich, als müsse sie mit jedem Atemzug einen Betonklotz hochheben. »Verflucht«, stöhnte er plötzlich und drückte einmal kurz gegen die Hupe.
Ich zuckte zusammen.
Als habe man nur auf dieses Zeichen gewartet, ging augenblicklich Licht im Inneren des Hauses an und sofort erschien ein Mann. Vielleicht ein wenig älter als ich. Er stopfte sein Hemd in die Hose und eilte zu uns herüber, während er die Arme, der Kälte trotzend, um sich schlang. Sein Kinn war stoppelig und sein an den Schläfen ergrautes Haar wirr. Er öffnete die Fahrertür und sah zu uns herein.
»Derek ...«, grüßte er erstaunt mit starkem schottischen Akzent.
»John. Wir brauchen eine Unterkunft. Ist das möglich?«
John blickte kurz zu mir herüber und nickte.
»Wo kann ich den Wagen parken?«
»Hinten im Schuppen. Warte, ich mach dir das Tor auf.«
»Nicht nötig. Das schaffe ich schon. Bitte bring Emma rein.«
John beugte sich ein wenig in den Wagen. »Emma ...«
Ich hauchte ein dünnes »Hallo«, dann stieg ich aus. Die Kälte war unglaublich. Sie schnitt wie mit zahllosen Klingen ins Fleisch.
Derek wendete den Wagen.
Kaum beim Haus angekommen, drehte ich mich nach Derek um. Eigentlich ohne Grund. Ich sah gerade noch, wie er ausstieg, sein linkes Bein nachgab und unter ihm wegknickte. Derek schrie auf und fiel in den Schnee. John und ich vergaßen, was wir vorgehabt hatten und rannten zu ihm. Er krümmte sich im Schnee, krallte seine Finger in sein Bein. Jetzt erst sah ich, dass sich seine Jeans dunkel verfärbt hatte.
»Derek!« Mühsam versuchte ich, den sich im Schnee wälzenden Mann zu halten. »Wir müssen ihn hochziehen. Derek, mach mit ... Komm schon. Allein packen wir es nicht!«
Als Derek mich in diesem Moment ansah, sprach nackte Angst aus seinen Blicken. Doch er kämpfte sie nieder und half so gut er konnte, während wir ihn ins Haus schleppten.
»Wir bringen ihn ins Wohnzimmer. Nach oben schaffen wir es nicht«, sagte John. Seine Frau kam die enge Stiege herunter, während sie den Gurt ihres Morgenmantels zuband. »Um Gottes Willen, was ist denn passiert?«, stieß sie hervor. Sofort rannte sie zu ihrem Handy und wählte eine Nummer. »Ich rufe Dr. Scott an. Der soll sofort herkommen.«
»Sag ihm, dass Derek sehr viel Blut verloren hat.«
Derek kam gerade noch bis zur Couch, dann sackte er in sich zusammen. Nackt und frierend, nur mit dem viel zu großen Bademantel bekleidet, half ich John, Dereks Hose aufzuschneiden, bis er entblößt vor uns lag.
»Ich richte heißes Wasser. Wir müssen das Bein reinigen«, sagte Johns Frau entschieden. Mit Tüchern und einer Schüssel Wasser kam sie zu uns.
Und jetzt, da wir das Blut von seinem Bein wuschen, erkannte ich, dass da ein Loch in seinem Fleisch war. Mein Magen drehte sich um und ich fürchtete, mich erbrechen zu müssen.
»Es sieht bestimmt schlimmer aus, als es ist«, versuchte Johns Frau mich zu beruhigen.
Ich nickte und kämpfte mit der Übelkeit.
»Ich bin übrigens Tammy.«
»Hallo, Emma«, sagte ich matt.
»Emma, versuche, ihn zu beruhigen.«
Derek bewegte sich unruhig hin und her und stöhnte immer wieder auf. Während Tammy und John sich um seine Wunde kümmerten, streichelte ich seine Wangen und lächelte ihn an. Sein Gesicht war schweißüberzogen, wenn es auch ansonsten von wächserner Farbe war. Von Zeit zu Zeit öffnete er seine Augen, doch ich wusste nicht, ob er mich erkannte.
Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis Dr. Scott eintraf. Er betrachtete die Wunde und dann uns. »Das ist eine Schussverletzung«, stellte er lakonisch fest.
»Und?«, versetzte Tammy.
»Die muss ich melden«, gab der Arzt zurück und blickte von dem nackten Mann mit der Schussverletzung zu der aufgelösten Frau im verdreckten Bademantel, sprich mir.
»Dann muss ich melden, dass du öfter Besuch aus Derry bekommst«, konterte John.
»Mistkerl«, sagte der Arzt.
Ich hatte keinen Schimmer, über was die drei sich da
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