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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Abschied tat weh, aber deswegen verzweifeln?
    Zehn Minuten sagte keines der Kinder ein Wort. Sie dachten über das Kommende nach und Alex versuchte wieder und wieder, sich Kasis Himmel vorzustellen; es endete aber immer bei dicken Engeln, vorbeifliegenden Gestalten mit Harfen in der Hand und Kirchenmusik. Er hoffte, dass er mit dieser Vorstellung sehr weit neben der Realität lag, am besten auf der Rückseite dieser Realität.
    » Versprichst du mir etwas, Alex?«
    » Was?«
    » Versprich mir bitte, dass du zu mir hältst, wenn Max irgendwas macht. Dass du mich beschützt.« Alex setzte sich auf und leuchtete Kasi ins Gesicht.
    » Du hast echt Angst vor ihm.« Kasi nickte.
    » Ja, ich hab Angst und …«, Kasi und Alex warteten Max’ Schnarchpause ab, »… und ich weiß, dass er etwas machen wird. Ich allein hab gegen Max aber keine Chance.«
    Alex setzte sich neben Kasimir und legte diesem ganz behutsam den Arm um die Schultern.
    » Ich versprech dir, wenn Max irgendeinen Scheiß macht, helf ich dir. Okay?« Kasi nickte. »So, und jetzt schlaf.« Am besten für immer , fügte Alex in Gedanken hinzu und wünschte auch sich einen Schlaf, aus dem es kein Erwachen mehr gab, der unmerklich in den Tod hinüberführte. Und hoffentlich in Kasis Himmel endete.

    Max schlug die Augen auf. Wie bei jedem Erwachen dauerte es auch dieses Mal einige Augenblicke, bis er sich in der Wirklichkeit zurechtfand, aber diese Augenblicke wurden von Mal zu Mal kürzer und ließen ihm jetzt noch nicht einmal Zeit, sich über diese absolute Finsternis zu wundern, geschweige denn nach dem Schalter seiner Nachttischlampe zu tasten. Er erwachte, zwinkerte ein paarmal – und erinnerte sich an den Spinnenmax an der Wand!
    Wie hatte die Spinne ihre Nacht verbracht? Stand sie noch ganz außen, neben Timi, oder hatte sie die Dunkelheit für das Kasistrichmännchen genutzt? Oder hatte sie gar ihren Platz an der Wand verlassen und sich um den richtigen Kasimir gekümmert, ihr Gift in das Mädchen gespritzt, es gelähmt und eingesponnen und …
    Max konnte nicht länger ruhig liegen bleiben. Auf allen vieren tastete er sich voran, erkannte Timi an dessen Haaren, stieß gegen die Wand und folgte dieser nach rechts zu Alex. Die Lampe wird bei Alex liegen, wie immer. Alles Wichtige bunkerte der in seiner Nähe: Trinkflasche, Taschenmesser, Lampe. Und richtig, wie von Max vermutet, fand er die Lampe in Alex’ Hand. Er befreite sie, rutschte ein Stück zurück, kurbelte und – hatte nur noch Augen für sein Abbild an der Wand. Ohne zu überlegen, hatte er diesen Max da mit einem großen X durchgestrichen und damit in eine riesige Spinne verwandelt! Wie schön sie aussah. Wie sehr sie sich vom Geschmiere der anderen unterschied.
    Max starrte auf sein Kunstwerk und nach wenigen Sekunden existierten nur noch er und dieses von ihm geschaffene Spinnenwesen. Wie eine Weissagung klebte es an der Wand und wartete auf die Erfüllung der Prophezeiung, bis dahin aber wollte es sich mit seinem Schöpfer unterhalten, wollte ihm Kraft geben, denn die Kraft, die es in diesen Jungen fließen ließ, diese Kraft würde zu ihm zurückkehren, von dieser Kraft wollte es sich in den Tagen der Verpuppung ernähren. Max lächelte, auch wenn das Strichmännchenmädchen wie auch das richtige Mädchen immer noch existierten. Es wäre schön gewesen, wenn die Spinne während der zurückliegenden Stunden beides ausradiert hätte, ja, aber noch schöner wäre es, dies alles mit der Spinne zusammen zu erledigen.
    Das Licht weckte Kasi und Kasi weckte Alex. Timi erwachte, als sein großer Bruder ihn rüttelte und auf die Wand mit dem gemeinsamen Bild zeigte. So schön. So groß und so stark. Sterben? Max lachte. Ich werde nicht sterben, nein, ich nicht! Auf ihn wartete eine Verwandlung, ein wundervolles neues Leben.
    Rache!
    Ein neutraler, jetzt den Raum betretender Beobachter hätte beim Anblick der einzelnen Kinder keine Sekunde daran gezweifelt, dass dieses Bild Max tatsächlich mit Energie versorgte. Als Einziger besaß sein Körper Spannung und Wille, einzig seine Augen leuchteten. Timi hatte mit seinem letzten Aufbäumen am Vorabend fast all seine wenigen Kraftreserven aufgebraucht, endgültig verbrannt hatte sie aber Max’ Geständnis. Wozu, so dachte Timi, während er sich wieder auf die Seite fallen ließ, wozu in eine Welt zurückkehren, die so aussah, wie der große Bruder sie ihm gestern beschrieben hatte? Er wusste, er könnte Vater nie wieder in den Arm nehmen, nie

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