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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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die folgende Pause.
    » Kannst du auch nicht schlafen?« Alex tastete nach der neben ihm liegenden Lampe und schaltete sie ein.
    » Mach sie bitte wieder aus«, sagte Kasi, »sonst weckst du ihn noch.«
    » Wen? Max?« Der Lichtstrahl schwenkte zu Max und Timi, aber keiner der Brüder bemerkte die Veränderung. Timi hatte das Gesicht zwischen Wand und Arm unter einem Zipfel seiner Jacke vergraben und Max lag auf dem Rücken – die Arme zur Seite gestreckt, als gehörte all das hier unten einzig und allein ihm – und erarbeitete sich gerade die nächste Atempause.
    » Bitte, mach sie aus. Ich will ihn nicht sehen.« Alex zuckte nur mit den Schultern, erfüllte aber Kasis Wunsch. Er legte sich die Lampe auf den Bauch, Kasimirs Lampe. Seine Finger spielten mit der kleinen Kurbel, drehten sie einige Millimeter nach vorn und wieder zurück, klappten sie ein und wieder auf. Wie hatten sie sich alle über dieses Ding lustig gemacht, erinnerte er sich. Und jetzt?
    » Wie geht’s deinem Arm?«, fragte Alex, allerdings nicht so sehr, weil es ihn interessierte, sondern um überhaupt etwas zu sagen. Auch er konnte nicht schlafen, auch er zählte wie Kasimir wieder und wieder Max’ Schnarchintervalle, was das Warten aber nicht abkürzte, sondern ganz im Gegenteil nur noch mehr in die Länge zog. Die Zeit wollte und wollte nicht vergehen. Zogen sich alle letzten Stunden eines Lebens derart in die Länge? Gab es in jedem Leben zum Schluss so viele Fragen und Gedanken? So viele Erinnerungen, die man am liebsten auslöschen möchte? Aber auslöschen ging nicht, das Leben war kein Film, aus dem sich hinterher einfach so die missratenen Szenen herausschneiden ließen, um der Nachwelt die perfekte Inszenierung eines (scheinbar) perfekten Lebens zu hinterlassen. Nein, wusste Alex jetzt, das Leben konnte sich alles merken, jede noch so kleine Gemeinheit, jeden Auslacher, jeden Gedanken und als wolle dieses Leben sich zum Ende hin für dieses frühe Ende rächen, fielen Alex nur noch die vielen, vielen schlechten Momente dieses Lebens ein und gerade Kasimir hatte eine Menge von denen abbekommen.
    » Kasi?«
    » Ja.«
    » Dein Arm?«
    » Ist okay«, antwortete Kasimir. Der Arm, der Arm – was interessierte noch dieser Arm?
    Kasimir setzte sich auf.
    » Alex?«
    » Was?«
    » Max macht mir Angst«, flüsterte Kasi. Er rutschte einige Zentimeter Richtung Alex und stoppte erst, als die Füße der beiden Jungen aneinanderstießen.
    » Aber er hat sich doch bei dir entschuldigt«, antwortete Alex. Ihm gingen ganz andere Dinge durch den Kopf, Max kam dabei nur am Rande vor. Mit Max’ Rückkehr aus dessen selbstgewähltem Exil, vor allem aber mit dem Handschlag zwischen Kasi und Max, hatte sich für ihn die ganze Angelegenheit erledigt. Jetzt ging es ans Sterben, was interessierte da noch Max’ Ausraster, außerdem, hatte Kasi nicht eben selbst gesagt, dass es seinem Arm besser ginge?
    » Trotzdem. Hast du vorhin Max’ Augen gesehen?« Kasi wartete ein paar Sekunden, Sekunden, in denen Alex ungesehen mit den Schultern zuckte. »Vorhin, als er sein Strichmännchen durchgestrichen hat …« Max hatte weitere fünfzehn Atemzüge bewältigt, jetzt fiel seine Zunge nach hinten. Stille. Oder hatte ihn das Geflüster geweckt?
    » Was war da?«
    » Pst.« Kasi hielt den Atem an und wartete und gerade als er dachte, Max werde nie wieder einen Schnarcher von sich geben, röchelte der, hustete und begann einen neuen Zyklus. »Als er sein Bild durchgestrichen hat, da sah er irgendwie, irgendwie … verrückt aus.«
    » Ach, das bildest du dir nur ein. Wegen dem, was er mit dir gemacht hat.«
    » Hast du seinen Blick gesehen?«, fragte Kasi. »Hast du vorhin in seine Augen gesehen?«
    » Ich weiß nicht.« Kasi hörte, wie Alex sich kratzte. Alex versuchte sich zu erinnern, aber ihm fiel keine Max betreffende Erinnerung ein. Wahrscheinlich, weil ihn zu diesem Zeitpunkt zu sehr die eigenen Tränen beschäftigt hatten. Und Max’ Geständnis. Aber an dieses Geständnis wollte er gar nicht weiter denken, es verursachte in ihm so ein ganz komisches Gefühl. Scham? Schämte er sich für seinen Freund, tat er ihm leid? Alex wusste es nicht und wollte auch nicht länger darüber nachdenken und vor allem wollte er es sich nicht vorstellen. Und tat es doch.
    » Max’ Augen sahen aus wie die Augen eines Verrückten.«
    » Hast du schon mal einen gesehen? Einen Verrückten, meine ich?«
    » Nein. Aber …«
    » Na also. Woher willst du das dann wissen?«, fragte

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