Aphorismen
tun, während für Richard schon diese Ansicht etwas Bewunderungswürdiges darstellt, da dieses Geldbedürfnis Samuels ihn einerseits verlegen, andererseits aber auch wertvoll macht und beides im Kern seiner Freundschaft. Daher kommt es auch, daß Richard trotz seines langsameren Denkens, eingebettet in die Fülle seiner Unsicherheit, Samuel eigentlich richtiger beurteilt, als Samuel ihn, da dieser, wenn auch mit guter Kombinationskraft, in seinem Urteil auf dem kürzesten Weg ihn am sichersten zu fangen glaubt und nicht wartet, bis er sich zu seiner wahren Gestalt beruhigt. Darum ist Samuel auch der eigentliche Beiseitesprecher und der Zurückweichende in diesem Verhältnis. Er nimmt von der Freundschaft scheinbar immer mehr weg, Richard trägt dagegen von seiner Seite immer mehr zu, so daß die Freundschaft immer weiter rückt, und zwar merkwürdiger- und doch selbstverständlicherweise in der Richtung zu Samuel hin, bis sie in Stresa haltmacht, wo Richard vor lauter Wohlbefinden müde ist, Samuel dagegen so stark ist, daß er alles kann und Richard sogar umzingelt, bis dann in Paris der letzte von Samuel vorhergesehene, von Richard gar nicht mehr erwartete, daher mit Todeswünschen erlittene Stoß kommt, der die Freundschaft zur endlichen Ruhe bringt. Trotz dieser Stellung, die das äußerlich ausschließen würde, ist Richard der bewußtere in der Freundschaft, wenigstens bis Stresa, denn er hat die Reise mit einer fertigen, aber einer falschen, Samuel dagegen mit einer erst (allerdings durch lange Zeit hin) begonnenen, aber wahren Freundschaft angetreten. Dadurch kommt Richard auf der Reise immer tiefer in sich hinein, fast nachlässiger, mit halben Blicken, aber stärkerem Beziehungsgefühl, Samuel dagegen kann und muß aus seinem wahren Innern heraus – es verlangt dies sein Wesen, wie seine Freundschaft –, also zweifach angetrieben rasch und richtig sehn und Richard oft förmlich tragen. So bewußt eben (bis Stresa) Richard, von jedem kleinen Vorfall neuerlich gezwungen, in seiner Freundschaft ist und hierin immer Erklärungen geben könnte, die niemand verlangt und er am wenigsten, denn er hat an den bloßen Erscheinungen seiner sich verändernden Freundschaft genug zu tragen: gegenüber allem übrigen, was die Reise sonst mit sich bringt, ist er besonnen, verträgt schwer die Veränderungen der Hotels, versteht einfache Zusammenhänge nicht, die ihm vielleicht zu Hause keine Mühe machen würden, ist oft sehr ernst, aber durchaus nicht aus Langweile, ja nicht einmal aus dem Verlangen, einmal von Samuel auf die Wange geklopft zu werden, hat großes Bedürfnis nach Musik und nach Frauen. Samuel kann nur Französisch, Richard Französisch und Italienisch, hiedurch kommt er in Italien, ohne daß es einer von ihnen darauf angelegt hätte und trotzdem Richard weiß, daß das Gegenteil wahrscheinlicher wäre, überall dort, wo es sich um Auskünfte handelt, in eine Art Dienerstellung zu Samuel. Auch kann Samuel Französisch sehr gut, Richard seine beiden Sprachen nicht vollkommen.
Eingabe an ein Amt
Die Anfrage vom – – – habe ich, zwar nicht mündlich, weil ich schwerkrank bin, aber sofort mit einer Korrespondenzkarte beantwortet. Diese Karte ist auch angekommen, denn einige Zeit nachher bekam ich vom löblichen Steueramt die Anfrage, was ich mit jener Karte beabsichtigt habe, eine Aufforderung vom 25. September 1922 Rp 38/21 sei dortamts unbekannt. Um diese für das löbliche Steueramt wie auch für mich völlig belanglose Angelegenheit nicht etwa noch zu komplizieren, beantwortete ich diese zweite Anfrage nicht, auch tat mir das Porto leid; wenn die Note vom – – – dortamts nicht mehr bekannt war, konnte ich mich ja zufrieden geben. Da die Sache nun aber durch die Note vom 3. November wieder aufgefrischt wird und mir, der ich schon längst korrekt geantwortet habe, sogar mit einer Strafe gedroht wird, erlaube ich mir neuerlich mitzuteilen, daß seit dem Eintritt Paul Hermanns in die Firma Erste Prager Asbestwerke keine weiteren Einlagen der Gesellschafter erfolgt sind und daß die Firma seit März 1917 nicht mehr besteht. Hoffentlich gelangt diesmal meine Antwort an das zuständige Referat.
Vom Scheintod
Wer einmal scheintot gewesen ist, kann davon Schreckliches erzählen, aber wie es nach dem Tode ist, das kann er nicht sagen, er ist eigentlich nicht einmal dem Tode näher gewesen als ein anderer, er hat im Grunde nur etwas Besonderes ›erlebt‹ und das nicht besondere, das
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