Apocalypsis 1 (DEU)
Gewicht ausreicht, dir den Hals durchzuschneiden«, flüsterte der Mann mit der Machete. Peter rührte sich nicht. Sah nur voller Entsetzen in das zugleich vertraute und doch unendlich fremde Gesicht dicht vor sich.
Sein eigenes Gesicht.
Sein Spiegelbild.
Der Mann, der ihm auf der Brust kniete und ihm eine Machete an den Hals hielt – das war er selbst. Mit einem kleinen Unterschied, den Peter jedoch nicht genau bestimmen konnte.
Irgendetwas ist mit seinen Augen. Als ob sie keine Farbe hätten.
Der Mann mit der Machete durchsuchte Peters Hosentaschen, zog das goldene Medaillon heraus und steckte es wie selbstverständlich ein. Dabei sah er ihn dabei unverwandt an. Schließlich nahm er die Machete einige Millimeter von Peters Kehle weg, wo sie bereits einen blutigen, oberflächlichen Schnitt hinterlassen hatte. Weit genug, dass Peter schlucken und sprechen konnte, aber immer noch so nah, dass jede Gegenwahr von Peter den sicheren Tod bedeutet hätte.
»Ich werde dich jetzt töten«, sagte er.
Peter schluckte. »Ich weiß.«
Sein Spiegelbild starrte ihn weiterhin an, als ob er etwas in Peters Gesicht suchte. Eine Erinnerung. Ein Zeichen. Eine Erklärung. In der Ferne hörte Peter Polizeisirenen. Zu fern, um ihn noch retten zu können.
»Wer bist du?«, fragte Peter heiser und sah in die kältesten Augen, die er je gesehen hatte.
»Ich bin der Schmerz. Mein Name ist Nikolas.«
»Wir sollten reden, Nikolas.«
Den Versuch war es wert. Aber Nikolas schüttelte den Kopf. »Nein, Peter. Du wirst jetzt sterben.«
Er holte mit der Machete aus. Peter schloss die Augen und erwartete den Tod.
Der Tod war ein scharfer Hauch dicht vor seinem Gesicht. Der kalte Atem eines Dämons aus Stahl. Ein kurzes Frösteln nur, nicht mehr als ein flüchtiger Schauder. Der Tod war ein leises elektronisches Klicken. Dann ließ der Druck auf seiner Brust plötzlich nach. Peter öffnete die Augen und sah Nikolas vor sich stehen, die Machete locker in der einen Hand, in der anderen ein Mobiltelefon, mit dem er offenbar gerade ein Foto von ihm gemacht hatte.
Peter überlegte hastig, ob er schnell genug auf die Beine käme, um Nikolas zu überwältigen, ließ es dann aber.
Keine Chance, er wäre zu schnell.
Peter starrte seinen Zwillingsbruder nur weiter unverwandt an. Denn so viel stand für Peter fest: der Mann mit der Machete, dieses exakte Spiegelbild seiner selbst, musste sein Zwilling sein. Alles andere ergab überhaupt keinen Sinn.
Nikolas. Mein Bruder.
Der Schock dieser Erkenntnis war größer als seine Angst, gleich sterben zu müssen. Die Erkenntnis, es immer irgendwie geahnt zu haben, sein ganzes Leben lang. All die Momente, in denen er sich nicht richtig vollständig gefühlt hatte, all die Albträume, in denen er sich selbst begegnet und sich doch immer fremd gewesen war. All das ergab nun schlagartig Sinn. Und doch wieder nicht. Aber was zählte das noch, so kurz vor dem Ende?
Doch in dem Moment, als Peter Nikolas in die Augen sah und den Tod erwartete, sah er den Schatten des Zauderns über das Gesicht seines Zwillingsbruders huschen. Ein Ausdruck der Bestürzung, wie über Selbstverständliches, das man plötzlich nicht mehr tun konnte. Ein kurzer Moment nur. Aber Peter verstand, dass Nikolas sein eigenes Spiegelbild, seinen eigenen Bruder vor ihm, nicht töten konnte .
»Warum …?«
Nikolas sah ihn starr an. »Ich habe dich gerade getötet, Peter! Verstehst du?« Er steckte das Handy ein. »Du bist jetzt tot. Bleibe tot. Für immer. Für jeden. Verdunste aus dieser Welt, komm nie wieder zurück, nicht einmal als Geist. Zu niemand. Denn ich bin der Schmerz. Ich komme zu jedem, dem dein Geist jemals wieder erscheint. Hast du das verstanden?«
Peter richtete sich auf und nickte. Ja, er hatte verstanden.
Die Sirenen näherten sich. Nikolas sah auf Peter herab, irgendwie unschlüssig, als sei noch nicht alles gesagt. Er schien sich viel weniger über die Begegnung mit seinem Zwillingsbruder zu wundern, wirkte bloß neugierig. Als habe er bereits von Peters Existenz gewusst.
»Hast du manchmal Kopfschmerzen?«
Peter nickte. »Ja.«
»Siehst du dann Bilder?«
Peter nickte.
»Siehst du sie ?«
»Ja«, sagte Peter. »Ihre Haare brennen. Ich wusste bis heute nicht, wer sie ist.«
Nikolas nickte ernst. Er schien nachzudenken.
»Siehst du manchmal einen Turm?«
Der Turm. Geh nicht hin. Lauf weg!
»Ja«, sagte Peter. »Ich erinnere mich an einen Turm. Er ist nicht groß. Er ist grau. Er steht ganz allein. Ein
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