Tokio Killer05 - Riskante Rückkehr
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I CH ARBEITE NIE GERN IN einer neuen Umgebung. Da weiß man nicht, wie man ungesehen rein- und wieder rauskommt, man weiß nicht, mit welchen Mitteln man an die Zielperson rankommt, man weiß nicht, wo man auffällt, wo man mit dem Hintergrund verschmelzen oder in der Menge untertauchen kann.
Zum Ausgleich studiere ich das Einsatzgebiet stets zunächst aus der Ferne, begebe mich erst dorthin, wenn ich mir möglichst gründliche Kenntnisse dazu angeeignet habe, und reise immer früh genug an, um mich mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen, ehe ich aktiv werde. Dank solcher Taktiken kann ich mich noch zu den Lebenden zählen, sogar zu den einigermaßen Wohlhabenden, obwohl ich seit über einem Vierteljahrhundert in dem Job tätig bin, den ich nun mal am besten beherrsche.
Diesmal jedoch war diese Vorbereitung ein Reflex, keine Notwendigkeit. Zum einen hatte ich gar keinen Auftrag; mit dem Leben war ich fertig. Das heißt, so gut wie fertig. Ich hatte noch eine letzte Sache vor mir, eine große, aber das konnte noch eine Weile warten. Barcelona sollte ein Zwischenspiel sein, zum Vergnügen, nichts Berufliches, und es war beunruhigend, dass ein Teil meines Verstandes diesen Unterschied offenbar nicht begreifen wollte.
Dennoch, unter ungewohnten Bedingungen neigen wir dazu, uns an Gewohntes zu klammern, und so kam es, dass ich mich an meine übliche Vorgehensweise hielt. Ich hätte es besser wissen müssen. Barcelona war unbekanntes Terrain. Doch das eigentliche Gebiet, das ich erkunden wollte, ist auf keiner Karte verzeichnet.
Ich flog mit Japan Airlines von Tokio über Amsterdam nach Barcelona, wo ich an einem milden Winterabend am Flughafen El Prat landete. Ich trug lediglich einen schlichten Bordkoffer in der Hand und einen billigen Geschäftsanzug am Körper. Meine Füße steckten in unauffälligen braunen Lederschuhen, die ich im Aoyama-Viertel in der Herrenabteilung eines Kaufhauses erstanden hatte; auf der Nase hatte ich eine Fertigbrille, die meine Gesichtszüge verändern sollte; in der Jackentasche einen Reiseführer von Barcelona auf Japanisch. Für die ersten Tage in der Stadt würde ich ein anonymer sarariman sein, der sich – frisch geschieden, die Kinder aus dem Haus – zur Abwechslung eine etwas kühnere Reise gönnt als den Kurztrip letztes Jahr nach Hawaii oder Saipan. Nach Delilahs Ankunft würde ich mich in etwas anderes verwandeln.
Die Mitarbeiter im Hotel Le Meridien an den Ramblas sprachen ihr hinreißend katalanisch eingefärbtes Englisch so langsam, wie sie es aufgrund meiner stockenden, stark japanisch eingefärbten Stammelei für nötig hielten. Mein Äußeres passte durchaus zu der Rolle. Mein Gesicht verdanke ich zum größten Teil meinem japanischen Vater, und den ohnehin schon geringen Anteil, den meine amerikanische Mutter zu der Mischung beigesteuert hat, habe ich vor vielen Jahren operativ noch weiter entfernen lassen. Die Verstellung fiel mir leicht. Schließlich habe ich lebenslange Übung darin, in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen. Zugegeben, ich habe keine Schauspielschule besucht, aber wer in meiner nun wirklich mörderischen Branche so lange überlebt wie ich, der lernt dabei einiges.
Ich war müde. Jetlag war früher für mich kein Problem gewesen, doch mit zunehmendem Alter war er spürbarer denn je. Ich ging direkt auf mein Zimmer, bestellte beim Zimmerservice etwas zu essen, nahm ein heißes Bad und schlief die ganze Nacht unruhig.
Als es dämmerte, stand ich auf. Ich war das erste Mal in Barcelona und wollte die Stadt im Morgengrauen sehen, wenn sie noch nicht auf den Beinen war, noch kein Make-up trug. Ich duschte rasch und brach auf, als die Sonne gerade über den Horizont lugte. Ich behielt die Straße im Auge, während ich am Fenster in der Lobby vorbeiging, und überprüfte mögliche Positionen, wo man mir vor dem Hotel auflauern könnte. Alles sah gut aus.
Während ich die Ramblas hinunterging, bildete mein Atem kleine Wölkchen in der morgenkühlen Luft, die vom Meer herkam. Dann blieb ich stehen. Zehn Meter weiter wickelten drei Männer von der Straßenreinigung in Overalls und Gummistiefeln einen tropfenden Wasserschlauch auf. Das Kopfsteinpflaster glänzte noch von ihrer Arbeit. Sobald sie mit dem Schlauch fertig waren, stiegen sie in einen Laster und fuhren davon. Als das Motorgeräusch verklang, folgte vollkommene Stille, und ich lächelte, froh, die Stadt eine Weile für mich allein zu haben.
Ich schlenderte nach Osten in Richtung des
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