Apocalypsis 1 (DEU)
wütend. Laurenz konnte es ihm nicht verdenken. Sie kannten sich schon lange, noch aus ihrer Zeit in der Glaubenskongregation. Obwohl sie sich ein Leben lang bis aufs Blut über Kirchenfragen gestritten hatten, obwohl Menendez während des Konklave damals gegen ihn angetreten war und ihn öffentlich als »Gefahr für die Kirche« gegeißelt hatte, mochte Laurenz den Spanier für seine Gradlinigkeit. Unter vier Augen duzten sie sich sogar. Was nicht bedeutete, dass sie Freunde waren. Im Gegenteil.
»Nenn mir verdammt noch mal einen vernünftigen Grund!«, hatte Menendez gebrüllt. »Einen gottverdammten Grund!«
»Fluch nicht in Gottes Namen!«, tadelte ihn Laurenz.
»Lenk nicht ab! Ich will einen Grund!«
»Ich kann ihn dir nicht sagen. Es ist persönlich.«
»Bist du krank?«
»Nein.«
»Bist du verrückt? Ist es das?«
»Nein, Antonio, ich bin bei vollkommen klarem Verstand.«
Der asketische Spanier stieß einen ungehaltenen Laut aus. »Du wirfst die Brocken hin, das ist es. Du hast verstanden, dass deine Reformpläne ins Chaos münden, dass du keine Antworten hast in dieser Zeit voller Fragen. Und jetzt schmeißt du alles hin, um dich aus der Verantwortung zu stehlen.«
»Ich kann verstehen, dass du das so sehen musst.«
»Du weißt, was ich von deinen Reformplänen halte, Franz. Sie sind Gift für die Kirche. Aber für einen Feigling habe ich dich nie gehalten. Bis heute.«
Laurenz schwieg, und das machte Menendez nur umso wütender.
»Das ist doch nur wieder eine schmutzige Taktik von dir«, fuhr ihn Menendez an. »Mit deinem Rücktritt zwingst du auch mich, zurückzutreten, und bist mich los.«
»Du kannst jetzt Papst werden, Antonio, vergiss das nicht.«
»Du weißt genau, dass in fünf Jahrhunderten nur drei Kardinalstaatssekretäre auch später Papst geworden sind. Aber hier geht es nicht um dich oder mich, hier geht es um das Amt des Stellvertreters Christi auf Erden.«
Für einen Moment bedauerte Laurenz, dass er und der Spanier nie Freunde hatten werden können, was schon daran lag, dass Menendez zum Opus Dei gehörte, der mächtigsten und gefährlichsten Gruppierung innerhalb der Kirche.
»Ich weiß das genauso gut wie du, glaub mir. Trotzdem kann ich nicht anders.«
»Und was wirst du machen? Willst du zur grauen Eminenz im Hintergrund werden? Zum Gegenpapst?«
»Glaubst du das wirklich, Antonio?«
»Ich will verstehen, warum! Warum?«
Laurenz schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Antonio.«
Menendez straffte sich zornig. »Ich glaube Ihnen nicht, Franz Laurenz. Ich kenne Sie besser.«
Laurenz war nicht entgangen, dass der Kardinalstaatssekretär ihn wieder siezte, um auf Distanz zu gehen.
»Sie sind nicht der Mann, der von heute auf morgen alles aufgibt.«, fuhr Menendez fort. »Ich bin überzeugt, dass Sie einen Plan haben und dass dieser Plan die Kirche spalten wird. Sie haben mich zu Ihrem Staatssekretär gemacht und mich damit zur Loyalität verpflichtet. Aber damit ist es nun vorbei. Von jetzt an bin ich Ihr größter Feind. Ich werde Sie beobachten. Sie und Ihresgleichen. Ich werde Sie auf Schritt und Tritt verfolgen. Ich werde Sie bekämpfen, was auch immer Sie tun. Ich werde meine Kirche vor Ihnen schützen, so wahr mir Gott helfe.«
Mit diesen Worten und ohne einen letzten Gruß hatte der spanische Kardinal den Raum verlassen.
Ein vorsichtiges Räuspern schreckte Laurenz aus seinen Gedanken. Er beendete sein Gebet und wandte sich um. Duncker stand in der Tür zur Kapelle. Er trug eine schwarze Soutane mit violettem Gürtel, die ihn als Ehrenprälat seiner Heiligkeit auswies.
»Es ist soweit, Heiliger Vater.«
Laurenz nickte und erhob sich.
»Ich bin nicht mehr Papst, Alexander. Ich bin noch nicht einmal mehr Bischof. Von nun an reicht Hochwürden .«
»Mit Verlaub, Heiliger Vater«, erwiderte Duncker etwas steif. »Solange Sie den Fischerring tragen, sind Sie der Papst, und ich werde Sie so anreden.«
Laurenz verstand, dass dies Dunckers Art war, seine Missbilligung über den Rücktritt auszudrücken.
Im Gegensatz zu Menendez und allen anderen, die Laurenz an diesem Morgen bereits empfangen hatte, um die nötigen Schritte einzuleiten, hatte Alexander Duncker ihn bislang nicht nach Gründen gefragt. Diskret wie immer hatte der gebürtige Thüringer die Nachricht entgegengenommen, die Pressekonferenz organisiert und den Camerlengo, den päpstlichen Kämmerer, informiert, der von nun an bis zur Wahl des neuen Papstes das höchste Amt der Kirche verwalten würde.
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