Synagoge gegangen, echt wahr, stell dir vor.
Jerusalem hat sich verändert. Nicht, dass ich besonders viele Erinnerungen an die Stadt hätte, aber Tatsache ist, dass ich hier niemanden mehr kenne. Alle Freunde sind ausgewandert, entweder damals schon mit ihren Eltern oder nach der Schulzeit. Der einzige vertraute Ort, der mir einfiel, war die Yakar Synagoge in der Halamed-Hey Street. Also bin ich, wie meine Mutter früher, zu Rabbi Spitzer gegangen und habe ihn um Rat gefragt, was ich nun tun soll.
»Was tun Sie denn sonst so?«, hat er zurückgefragt.
»Ich male.«
»Na, also! Dann malen Sie!«
Das war’s. Audienz beendet. So einfach. Seitdem male ich hier. Ich male wie im Rausch. Kitschig, was? Ich habe Leinwände und Farben gekauft und verbringe fast den ganzen Tag im Zimmer. Ich weiß, du hast dich nie sonderlich für meine Bilder interessiert, daher musst du mir einfach glauben, dass sie gut sind. ;) Nein, im Ernst, sind sie nicht. Ich bin weit davon entfernt, zufrieden zu sein. Aber das ist egal. Es sind seltsame Bilder, weißt du, eines sieht aus wie eine Tätowierung mit verschlungenen Linien, Symbolen und Schriftzeichen, die ich mir ausdenke. Würde dir gut stehen. Ein anderes ist eher wie eine Art Piratenschatzkarte. Nein, lach nicht. Es ist eine Karte, ich weiß nur weder wohin sie führt, noch, was der Schatz ist. Auf einem anderen Bild habe ich eine katholische Nonne gemalt. Ich weiß nicht, warum, vielleicht weil hier so viele Nonnen herumlaufen. Aber diese Nonne hat einen Geliebten. Er lebt in einem Land jenseits des Flusses, dort gibt es große dünne Wesen wie die Mimi. Sie haben Echsenköpfe, aber sie sind friedlich. Bis auf ein Wesen, das hat einen Löwenkopf, das ist sehr böse. Heute habe ich den Untergang der Welt gemalt. Der Löwenmann hat alles vernichtet. Ich weiß nicht, was das alles bedeuten soll, aber ich werde einfach weitermalen und es herausfinden.
Vielleicht denkst du jetzt, ich sei vollends übergeschnappt. Vielleicht macht es dir das ja leichter, mich loszulassen, Jim. Schreib mir oder lass es sein, aber komm nicht nach Jerusalem. Aber du kannst mir einen Gefallen tun: Ich weiß, du hast heimlich ein Bild aus dem Atelier mitgehen lassen und irgendwo im Haus versteckt. Es zeigt den Felsendom und echsenartige Wesen in einem Halbkreis. Na, hab ich recht? Du hast es! Ich bin dir nicht böse, im Gegenteil, aber bitte schicke es mir, ich brauche es hier. Schick es bitte noch heute los, ja? Die Adresse ist:
Mt. Scopus Guesthouse
12 Sheikh Jarrah St.
Jerusalem 91196
Israel
»Die Liebe gibt es nicht, es gibt nur Beweise der Liebe«, hat Picasso mal gesagt. Also noch mal: Wenn du mich liebst, dann komm nicht nach Jerusalem.
Mach’s gut,
Deine abtrünnige Rahel
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Von:
[email protected] An:
[email protected] Datum: 21. Juli 2011 21:05:43 GMT+03:00
Betreff: Zeichnung
Meister,
das ist die Frau. Soll ich aktiv werden?
Im Lichte mit Euch,
Hanson
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Von:
[email protected] An:
[email protected] Datum: 21. Juli 2011 19:20:31 GMT+01:00
Betreff: Re: Zeichnung
Vorerst nicht. Behalte Sie im Auge. Ich will wissen, mit wem sie sich trifft.
Das Licht sei mit dir,
Seth
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XIX
23. August 2013, Rom
E ine Weile standen sie einfach nur so da, starrten einander an wie Fremde, die verzweifelt versuchten, sich zu erinnern, woher sie sich kannten. Dann sah sich Nikolas im Hof um. Die Fensterläden ringsum waren immer noch geschlossen, nichts regte sich. Die Stille wurde drückend, eine geradezu körperliche Last. Nur der Geruch von Baldrian und Zimt hatte sich verzogen.
»Hast du gesehen, wohin er gerannt ist?«, brach Nikolas schließlich das Schweigen.
»Scheiße, nein, Niko. Ich hab hier lieber rumgelegen. Was ist hier los? Was, zum Teufel, war das?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
»Glaubst du etwa wirklich, der Junge da war der leibhaftige Satan?«
Nikolas schien ernsthaft über diese Frage nachzudenken.
»Nein. Die Frage ist vielmehr: Warum hat er uns nicht getötet? Ich hab gehört, dass du was gerufen hast.«
Stimmt. Bloß was?
Peter schüttelte den Kopf. »Ich hatte eine kurze Vision. Diese Frau auf dem Tempelberg hat mir vorgesprochen, was ich sagen soll. Aber ich kann mich nicht mehr erinnern, was es war.«
»Es klang wie ein Bannspruch auf Henochisch.«
Peter zuckte mit den Schultern. Seine Beine zitterten immer noch, er fühlte sich zu Tode erschöpft. Erschöpft und alt.
»Wie auch immer, es hat ja offenbar