Apocalyptica
Fingerbreit von ihrer Überzeugung abzuweichen. Wenn der Wanderer ihre gemeinsame Tochter in Gefahr brachte, würde sie ihn töten oder bei dem Versuch sterben. Das war sie Schawâ schuldig.
Der Weg durch das Hügelland Iberias stellte sich als schwieriger heraus, als Isabella es sich eingestehen wollte. Ihre Fahrzeuge waren weder für derartiges Terrain ausgelegt, noch hatten ihre Fahrer die nötige Erfahrung, um ihre Gefährte in extremen Situationen unter Kontrolle zu halten. Daher wurden ihre Transportmittel auf halber Strecke zur potenziellen Gefahr. Trotzdem benötigte die Diadochin lange, bis sie sich endlich entschied, die Fahrzeuge abzustellen und den restlichen Weg zu Fuß und mit den Pferden fortzusetzen.
Zum tausendsten Mal wanderte Isabellas Blick Gen Himmel. Sie war keine Frau, der man leicht Angst einjagte, doch konnte sie sich an den Anblick, der sich ihr bot, nicht gewöhnen. Das Gewimmel schwarzglänzender, bizarrer Körper über ihr war so beunruhigend, dass sie die Beklemmung nicht abschütteln konnte, die von ihr Besitz ergriffen hatte. Auf der anderen Seite war die Gebieterin Cordovas dankbar für den Fingerzeig. Ohne diesen klaren Hinweis hätte sie die Suche nach ihrem Sohn längst abgebrochen. Nirgends konnte man sich so gut verstecken wie in den Urwäldern Iberias. Wer hier nicht gefunden werden wollte, ging auf immer unter dem dichten Blätterdach verloren.
„Isabella?“, wandte sich Nestor an die Mutter seines Schutzbefohlenen. Ihm standen die letzten Tage voller Anstrengungen und Schlaflosigkeit deutlich im Gesicht. Nicht, dass der hünenhafte Mann mit den zahlreichen Narben am ganzen Körper irgendwie verweichlicht gewirkt hätte – vielmehr schien ihn der Verlust Naphals tief in seinem Inneren getroffen zu haben. Sein Blick war voller Sorge und etwas anderem. Furcht?
„Was ist?“ Isabellas Laune war auf dem Tiefpunkt angelangt. Ihre Stimme klang wie das Fauchen einer gereizten Berglöwin.
„Wir haben etwas entdeckt. Eine Rauchsäule. Nichts Großes, eher so, als wollte man etwas verbergen.“
„Ich will es sehen.“ Die Diadochin war viel zu nervös, um anderen Gefühlen eine Chance zu geben. Dennoch war da eine leise Ahnung von Hoffnung in ihr.
Gemeinsam arbeiteten sich Nestor und Isabella an die Spitze des Suchtrupps vor, und bald konnte sich die Gebieterin Cordovas selbst ein Bild von der Situation machen. Wer immer dieses Feuer entfacht hatte, wusste, wie man sich verbarg. Der Rauch war nur eine Ahnung und Isabella kurzzeitig beeindruckt von den scharfen Augen dessen, dem dieser Hinweis aufgefallen war.
„Wir brechen sofort auf. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“
Eine Stunde später hatten sie sich dem Ort, an dem das Feuer gebrannt hatte, auf Sichtweite genähert, und die Diadochin hatte den Befehl erteilt, sich weiträumig um das Lager zu verteilen, um jedweden Fluchtweg zu blockieren. Wenn ihr Sohn in Begleitung eines Engels unterwegs war, dann musste man mit allen Eventualitäten rechnen. Der einzige Weg, den sie dem Engel nicht versperren konnte, war der Luftweg, doch auch dafür hatte sie einen Plan.
Ohne sich allzu viel Zeit zu lassen, zogen sie den Kreis um das Lagerfeuer, das bereits seit einigen Minuten nicht mehr brannte, immer enger. Mit einem lautlosen Befehl stürmte Isabella gefolgt von ihrem Trupp als erste auf die kleine Lichtung, in deren Mitte ein kleiner Steinkreis letzte Rauchschwaden in die aufziehende Dämmerung entließ.
Dicht an den Steinkreis gedrängt, um die aufziehende Kälte des Abends von sich fernzuhalten, war Naphal hochgeschreckt. Schlaftrunken versuchte er, die Lage zu begreifen. Als er seine Mutter erkannte, war ihm das Wechselbad der Gefühle klar anzusehen. Freudentränen, Furcht, Wut, alles vermischte sich zu einer absonderlichen Maske, die unter anderen Umständen zum Lachen gewesen wäre.
Isabellas Gefolge wirkte wie in der Bewegung erstarrt. Niemand wusste, wie er reagieren sollte, also rührte sich auch keiner der Anwesenden. Naphal war anscheinend allein auf dem Plateau. Wenn es einen Engel oder was auch immer gegeben hatte, dann verbarg er sich oder war rechtzeitig geflohen. Andererseits hätte der Junge es niemals ohne fremde Hilfe bis hierher geschafft.
Erst jetzt spürte Isabella, wie erschöpft sie war. Jetzt, wo sie ihren Sohn gefunden hatten, fiel alle Anspannung von ihr ab, und übrig blieb nur Müdigkeit. Mit einem Seufzer ging sie auf Naphal zu, der den Kopf leicht schräg legte und langsam rückwärts
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