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Apocalyptica

Apocalyptica

Titel: Apocalyptica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Graute
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dort erneut niederzulassen. Roma Æterna war immer weiter an Land gekrochen wie eine Schildkröte, die zum Eierlegen das Wasser verlässt. Es war ein absonderlicher Anblick, der den Engel in Staunen versetzte. Haakon hingegen schien seine Umgebung kaltzulassen. Midael glaubte, sein Retter hätte auf das Licht auch verzichten können, so sicher fand er in dem Labyrinth aus Mauerresten und alten Fundamenten seinen Weg.
    „Wo sind wir?“ Der Engel konnte seine Neugier nicht länger zurückhalten.
    „Unterhalb des Campus Sarielitorum. Doch da gehen wir nicht hin. Ich hoffe, du genießt die Aussicht.“
    Midael spürte, wie seine Haut sich unter dem Auftrocknen zahlreicher Partikel aus der Kloake spannte und verzog angewidert das Gesicht. „Wenn ich ehrlich bin, würde ich etwas klares Wasser bevorzugen.“
    „Wir werden bald Gelegenheit dazu bekommen, uns zu reinigen, mein Freund.“
    „Haakon, was ist dort draußen geschehen, solange ich nicht da war?“
    Der alte Raguelit wirkte plötzlich kleiner und verletzlicher und drehte sich nicht um, als er antwortete. „Die Dinge nehmen ihren Lauf.“ Die Stimme Haakons wirkte zerbrechlich, als er fortfuhr: „Der Pontifex hat den Befehl zum Ausmarsch erteilt. Er schickt die angelitische Heerschar ohne Unterstützung der Gabrieliten in die Schlacht. Er kann es vermutlich nicht erwarten, das, wofür die Menschheit seit Generationen kämpft, untergehen zu sehen.“
    „Der Pontifex ist eine Marionette, Haakon. Johannes zu Gemmingen zieht die Fäden.“ Midael war nicht sicher, ob es eine gute Idee war, seinen alten Freund so unumwunden mit derart erschütternden Erkenntnissen zu konfrontieren, andererseits hatte Haakon auch nicht gerade Fingerspitzengefühl bewiesen, als es darum ging, erschütternde Wahrheit zu verkünden.
    Jetzt drehte Haakon sich um und taxierte den Samaeliten mit schiefgelegtem Kopf und zusammengekniffenen Augen wie ein Raubvogel. Der Engel sah, wie der alte Ab der Ragueliten die richtige Antwort suchte, um seinem Gegenüber eine angemessene Entgegnung zu präsentieren. Schließlich nickte der Alte aber nur, bevor er sich wieder umwandte, damit sie ihren Weg fortsetzen konnten.
    Jetzt war es an Midael, irritiert zu sein. „Lässt dich das denn gleichgültig, Haakon?“
    „Gleichgültig? Nein. Nur überrascht es mich nicht, Freund. In all den Jahren, in denen ich im Dienst der Angelitischen Kirche stand, habe ich viele Dinge gesehen, die nicht sein durften. Dinge, die die Grundfesten des Glaubens eines auch noch so treuen Dieners der Kirche erschüttern würden. Ich habe Geheimnisse gelernt und Eide geleistet. Alles für eine gemeinsame Sache. Als ich dich traf, dachte ich, ich könne doch noch etwas bewirken. Alles zum Guten wenden oder doch zumindest etwas erträglicher gestalten. Doch Gut und Böse sind nur Modelle, theoretische Werte ohne Realitätsbezug.“ Der Ab legte eine Pause ein, als müsse er sich der Bedeutung dessen, was er gerade gesagt hatte, selbst erst bewusst werden. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und sagte: „Ich bin zu alt für sowas. Komm, wir haben einen langen Weg vor uns.“
    Auch Midael seufzte. Er hatte dem Alten, ohne es zu wollen, offenbar weh getan. Er spürte die tiefe Frustration und Resignation, die Haakon durchflutete. Es war falsch gewesen, das schreckliche Wissen, über das der Engel seit seinem Zusammentreffen mit zu Gemmingen verfügte, mit ihm zu teilen. Haakon hatte recht. Er war alt und hatte sein Leben dem Dienst an der Angelitischen Kirche geopfert. Ihn jetzt damit zu konfrontieren, dass sein Lebensinhalt eine Lüge war, war grausam.
    Mit hängenden Schultern und den Kopf voller düsterer Gedanken folgte er seinem Führer weiter durch die unterirdischen Ruinen der Ewigen Stadt.

    „Seht mal, was ich kann.“ Schawâ war auf die steinerne Brüstung der alten brüchigen Brücke geklettert, die sie gerade überquerten. Lâle stockte der Atem. Mehr einem mütterlichen Impuls als ihrem klaren Verstand gehorchend, stürzte sie auf ihre Tochter zu, um sie vor einem tiefen und sicherlich tödlichen Sturz in die Tiefe zu bewahren. Doch der Wanderer fing sie ab. „Lass. Sie wird nicht fallen.“
    Doch Lâle dachte nicht einmal im Traum daran, den Worten des Mannes Bedeutung beizumessen. Aus Leibeskräften stemmte sie sich gegen den Griff ihres Gegenübers, um ihre Tochter zu retten, während sie hilflos zusehen musste, wie Schawâ ungelenk über die Balustrade balancierte und dabei ein ums andere Mal

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