Aqualove
erscheinen. Also: Hast du schon mal von Ethan Waterman gehört?“
Vielleicht war ich durch den Weckruf noch verlangsamt, aber tatsächlich kannte ich niemanden in der westlichen Welt, der noch nichts von Ethan Waterman gehört hätte. Die Frage allein war schon eine Beleidigung. Ich schwieg und wartete Keelers Fortsetzung ab. „Okay“, fuhr Keeler fort. „Seitdem der Typ auf der industriellen Landkarte aufgetaucht ist, hat er noch nie ein persönliches Interview gegeben. Nachdem er vergangene Woche dreihunderttausend Dollar für den neuen Anbau des Kunstmuseums hier in Chicago gespendet hat, haben wir eine Liste mit Interviewfragen an seine Firma rausgeschickt.
Eigentlich war es pro forma. Keiner hat damit gerechnet, dass das Schreiben überhaupt über deren Papierkorb hinauskommen würde. DNAssociated hat sich heute Morgen gemeldet. Waterman hat die Fragen tatsächlich beantwortet. Vielleicht betreibt er Imagepflege beim einfachen Volk, aber auf jeden Fall werde ich am Freitag seine Antworten bringen. Und ich wäre meinen Job als Ressortleiter binnen Sekunden los, wenn wir es nicht auf der Titelseite erwähnen würden.“
„Chef, du glaubst doch nicht wirklich, dass der Typ auch nur eine Frage persönlich beantwortet hat. Wahrscheinlich wurde damit die Cousine der Tochter der Vorzimmerdame seiner Vorzimmerdame betraut.“
„Mir egal, solange er das Ding autorisiert. Und das hat er heute Morgen getan.“
„Echt?“
„So echt wie meine neue Goldkrone hinten links. Ich will, dass du zu ihm rüberfährst und schaust, was du kriegen kannst. Vielleicht siehst du ihn sogar persönlich über den Flur gehen oder kannst bei seinem Personal noch ein aktuelles Foto rausschlagen. Ich kann da keinen Boten hinschicken. Also?“
„Nach der üblichen sorgfältigen Körperpflege mache ich mich sofort auf den Weg. Wenn ich es schaffe, bringe ich dir alles heute Abend noch rein. Aber mach dir nicht zu große Hoffnungen. Marc Zuckerberg steckt auch nicht jeder dahergelaufenen Freien ein hübsches Foto aus dem letzten Urlaub zu.“
„Danke. Die genaue Adresse findest du in deinen Mails. Sehe dich dann heute oder morgen früh. Ruf auf jeden Fall an, wie es gelaufen ist.“
„Tschüss, Keeler. ... Und danke fürs Wecken.“
Dienstag, 18. April 2034. Das absurd Schöne am Aufwachen in einer Kleinstadt war, dass es genau wie das Aufwachen in einer Großstadt war. Schon ab sechs Uhr morgens bebte Sandy Hills mit unterdrückten Aktivitäten. Viele Arbeiter pendelten nach Detroit oder Chicago. Das war dank der neuen Schnellzüge ein Kinderspiel. Wenn die Müllabfuhr nicht gerade lautstark Mülltonnen über die Straßen schleifte, hörte man Kinder auf dem Weg zur Schule, die sich miteinander unterhielten, Autotüren schlugen, Zeitungen flogen ab und an mit einem satten Klatschen gegen hölzerne Haustüren. In Sandy Hills gab es außer dem gepflegten Einzelhandel und den zwei touristischen Attraktionen am Mirror Lake weder Industrie noch sonstiges geschäftliches oder gesellschaftliches Leben. Der See war größer als die Stadt, und das war wahrscheinlich auch gut so. Der schöne, verseuchte See.
Als ich vor drei Monaten hergezogen war, hatte ich einige Zugeständnisse machen müssen. Ich hasste Städte, in denen sich die Häuser wie wackelige Zähne an der Hauptstraße entlangreihten. Kein gewachsenes oder gar historisches Zentrum. Am Ende der Stadt das übliche Einkaufszentrum – genau das war Sandy Hills. Der Name klang damals so pittoresk. Die Realität war ernüchternd.
Was den Unterschied machte, waren Pearl und Cola. Wir hatten uns an der Uni kennengelernt und kapiert, dass freundschaftliche Nähe wichtiger war als städtisches Ambiente. Eigentlich hatte Pearl uns Sandy Hills eingebrockt. Nachdem sie den schrecklichen Herb geheiratet hatte – nicht ohne vorher die Beziehung durch eine Schwangerschaft zementiert zu haben –, war ein Umzug nach Sandy Hills unvermeidlich geworden. Die gesamte buckelige Verwandtschaft von Herbert Kurz lebte dort.
Mein Freund Cola verdankte seinen Spitznamen dem unmäßigen Konsum desselben Getränks. Im echten Leben hieß er Paul Nowak. So nannten wir ihn nur, wenn wir ihn richtig ärgern wollten. Ihm war es egal, wo er wohnte. Als Vertriebsleiter für Filtersysteme war er ohnehin immer unterwegs. Bis heute konnte oder wollte er Pearl und mir nicht erklären, warum er für diesen Job hatte studieren müssen. Allerdings war er generell kein Freund von vielen Worten.
Als freie
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