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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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dargestellt. Turabi hat in der Bewertung von Personen und Institutionen offenbar eine bemerkenswerte Konsequenz bewahrt. Seine Formulierungen an diesem Märzabend 2010 gleichen bis ins Detail den Aussagen, die er einer kleinen Gruppe deutscher Orientalisten fünf Jahre zuvor anvertraut hatte.
    Erhabe schon deshalb Osama Bin Laden sehr gründlich beobachtet, weil dieser Mujahid im Dienste der heiligen Sache und im Kampf gegen den gottlosen Kommunismus mittels der amerikanischen CIA und des pakistanischen Geheimdienstes ISI, der einen Staat im Staate bildet, eng zusammengearbeitet habe. Nach dem erzwungenen Abzug der Sowjetarmee aus Afghanistan sei es jedoch zum Bruch zwischen Osama Bin Laden und seinen amerikanischen Auftraggebern gekommen. Während seines Aufenthalts im Sudan sei er nur selten öffentlich aufgetreten und blieb für die meisten ein Unbekannter. Dieser religiöse Träumer, der sich von der Borniertheit seiner Landsleute nie gelöst hatte, habe durchaus über Charisma verfügt. Aber er habe sich als miserabler Organisator erwiesen und wäre nicht einmal in der Lage gewesen, eine politische Partei zu formieren. Die Amerikaner hingegen hätten die Bedeutung und die Fähigkeiten Osama Bin Ladens bei weitem über­trieben, hätten ein furchterregendes, künstliches Feindbild, einen Popanz, aufgebaut, und die westlichen Medien seien darauf hereingefallen. Dieser religiöse Wirrkopf, der den Koran so prächtig zu rezitieren, aber so dürftig zu interpretieren verstand, habe nur durch gezielte Desinformation zum Haupt einer weltweiten Verschwörung aufgebauscht werden können.
    Ã„hnliches lasse sich über den Begriff »El Qaida« sagen. Die wenigsten »Experten« des Westens seien in der Lage, dieses arabische Wort korrekt auszusprechen. Der Begriff »El Qaida« sei lediglich mit »die Basis« oder »die Grundlage« zu übersetzen. Ein konspirativer Doppelsinn sei da nicht vorhanden. Aber die Propagandisten von Langley hätten ein globales Schreckgespenst gebraucht, eine Personifizierung des »Bösen«, um ihren Krieg gegen den Terror, der in Wirklichkeit ein Krieg gegen den um seine Befreiung von westlicher Bevormundung und Säkularisierung kämpfenden Islam sei, personifizieren zu können. Im Sudan habe niemand die Existenz eines Kampfbundes »El Qaida« gekannt. Ich kann meinerseits bestätigen, daß die afghanischen Dorfältesten und Maliks, denen ich am Hindukusch begegnete, mir glaubhaft versicherten, daß sie zwar die Präsenz von arabischen Mujahidin auf seiten der afghanischenWiderstandskämpfer wahrgenommen, das Wort El Qaida jedoch an jenem fatalen Septembertag 2001, »Nine Eleven«, zum ersten Mal vernommen hätten.
    Â»So ist Osama Bin Laden zum Che Guevara der revoltierenden islamischen Umma geworden«, fährt Turabi – immer noch lächelnd – fort. Niemand wisse genau, ob diese mystische Figur noch lebe, deren Porträt mit Turban, Bart und Kalaschnikow auf zahlreichen T-Shirts frommer junger Muslime abgebildet wird. So wenig, wie Bin Laden in den Höhlen des Hindukusch die Attentäter des World Trade Center, die fast ausschließlich aus Saudi-Arabien stammten, als Piloten ausbilden konnte, so fehlt es ihm an unmittelbaren technischen und elektronischen Mitteln, um weltweite Terrorakte effizient zu koordinieren. Nicht einmal ein Mobiltelefon kann er bei sich tragen, ohne daß die perfektionierte Identifikationsmaschine des amerikanischen Geheimdienstes seinen Aufenthaltsort bestimmen und dessen Bombardierung auslösen würde. Er kann allenfalls eine Ton- oder Bildkassette besprechen und auf dem Rücken eines Maultiers seinen Komplizen zukommen lassen. Aber was beweisen schon Bilder in einer Phase unbegrenzter technischer Manipulation, wo es selbst an einem bescheidenen Schneidetisch gelingen könnte, den amerikanischen Präsidenten George W. Bush in die unmittelbare Nachbarschaft Osama Bin Ladens zu zaubern und sie gemeinsam »Allahu akbar« rufen zu lassen?
    Scheikh Turabi setzt zu einer feierlichen Aussage an. »El Qaida existiert doch gar nicht«, sagt er mit einem Anflug von zornigem Ernst. »Viele europäische Experten sind sich dessen mehr oder weniger bewußt, aber sie kommen nicht an gegen eine weltweite Kampagne, die des Zentralbegriffs eines dämonischen Feindes, eines Satans bedarf, um eine kollektive Massenpsychose zu

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