Arabiens Stunde der Wahrheit
Landstriche zur Folge hatten. Darfur wird an dieser Stelle ausführlich angeführt, weil dieses afrikanische Staatswesen â falls der Ausdruck »Staat« hier überhaupt Sinn macht â, das angeblich zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts entstand, typisch erscheint für eine ganze Serie von »Mamlakat« oder Königreichen, die sich vom Nil bis zum westafrikanischen Fouta-Djalon-Massiv erstreckten.
Wie Churchill schon feststellte, besteht das Interesse dieses breiten Sahel-Streifens darin, daà fast überall ansässige schwarze ÂAckerbauern mit den mehr oder weniger arabisierten Nomaden und Berberstämmen zusammenstoÃen, die sich ihrerseits aufteilen unter den Rinderhirten, »Baggara« genannt, und den Kamelzüchtern oder »Abbala«. Das Vordringen des Islam und der reÂligiöseSynkretismus, der sich mit den Naturreligionen der Einheimischen vollzog, sind ein zusätzliches Charakteristikum dieser weiten Zone.
Der unentbehrliche Grundsockel jeder gesellschaftlichen Ordnung war von Anfang an der Rückgriff auf eine Masse von Sklaven, die bei den unterworfenen Stämmen eingefangen wurden. Auf diese stützte sich jede Hierarchie, noch bevor die arabischen Sklavenhändler ihre Raubzüge ausweiteten und ganze Regionen Ostafrikas entvölkerten. Bis in die Gegenwart hat sich die grausame Praxis erhalten. Erst als die europäischen Kolonisatoren des neunzehnten Jahrhunderts, die an der westafrikanischen Küste ihrerseits einen abscheulichen Menschenhandel betrieben, dem schändlichen Gewerbe ein Ende setzten, hörte auch die Insel Sansibar auf, der groÃe Umschlagplatz und Markt für »schwarzes Elfenbein« zu sein. Bis dahin hatte es geheiÃen: »Wenn in Sansibar die Trommel dröhnt, erstarrt ganz Ostafrika bis zu den GroÃen Seen in Furcht und Schrecken.«
Die geringe präkoloniale Kenntnis, die wir von den Zuständen im Sahel zwischen Senegal und Rotem Meer besitzen, basiert auf den mehr oder weniger zuverlässigen Erzählungen arabischer Reisender und Händler, die neben Darfur â Land der Fur â auch die Verhältnisse in den Mamlakat oder Sultanaten von Funj, Wardai, Bornu, Mali, Ghana oder sogar Buganda schildern. Gewisse dieser Bräuche, die uns bizarr vorkommen, konnten noch in der Neuzeit im riesigen Kraal-Palast von Kampala von europäischen EntÂdeckern bestätigt werden. Der »Kabaka« genannte Oberhäuptling von Buganda, der nicht zum Islam übergetreten war, hatte im neunzehnten Jahrhundert durch eine Christenverfolgung unter seinen eigenen Untertanen traurige Berühmtheit erlangt. Das Protokoll verlangte dort wie an anderen Höfen, daà der König niemals mit seinen FüÃen den Boden berührte und stets getragen wurde. Wenn er nieste, muÃten alle Anwesenden niesen, wenn er hustete, muÃten auch sie husten. Niemandem war es erlaubt, dem Herrscher beim Essen zuzuschauen.
Der König, dem übernatürliche Kräfte zugeschrieben wurden, durftekeines natürlichen Todes sterben, so daà er beim Auftreten lebensgefährlicher Krankheiten von seinen Höflingen vergiftet oder erstickt wurde. Noch befremdlicher empfanden die maghrebinischen Reisenden aus dem Norden eine bei den meisten animiÂstischen Völkerschaften ausgeprägte Form des Matriarchats. In weiten Teilen Schwarzafrikas nimmt nicht der leibliche Erzeuger die Rolle des Vaters ein, sondern ein Bruder der Mutter, der Onkel. Ob dem der von den Römern geäuÃerte Verdacht zugrunde lag, »pater semper incertus â die Identität des Vaters ist stets ungewië â, bleibt dahingestellt. Erst die DNA-Analyse unserer Tage schlieÃt diese Zweifel aus, aber vermutlich spielt auch der Satz aus dem Code Napoléon eine Rolle: »La recherche de la paternité est interdite â die Suche der Vaterschaft ist untersagt.« Die afrikanischen Königinnen, die in eigenen »Residenzen« lebten, waren verpflichtet, ihren Gemahl jeden Tag aufzusuchen, durften sich jedoch angeblich so viele Liebhaber leisten, wie sie wollten.
Auf meinen Reisen in die Länder der Korangläubigen pflege ich stets ein Exemplar des groÃen maghrebinischen Vorläufers und Vorbildes Ibn Battuta mit mir zu führen, der im vierzehnten Jahrhundert im Auftrage des Sultans von Marokko eine weltumspannende Chronik seiner »Asfar« oder »Safarat« verfaÃte.
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