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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Landstriche zur Folge hatten. Darfur wird an dieser Stelle ausführlich angeführt, weil dieses afrikanische Staatswesen – falls der Ausdruck »Staat« hier überhaupt Sinn macht –, das angeblich zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts entstand, typisch erscheint für eine ganze Serie von »Mamlakat« oder Königreichen, die sich vom Nil bis zum westafrikanischen Fouta-Djalon-Massiv erstreckten.
    Wie Churchill schon feststellte, besteht das Interesse dieses breiten Sahel-Streifens darin, daß fast überall ansässige schwarze ­Ackerbauern mit den mehr oder weniger arabisierten Nomaden und Berberstämmen zusammenstoßen, die sich ihrerseits aufteilen unter den Rinderhirten, »Baggara« genannt, und den Kamelzüchtern oder »Abbala«. Das Vordringen des Islam und der re­ligiöseSynkretismus, der sich mit den Naturreligionen der Einheimischen vollzog, sind ein zusätzliches Charakteristikum dieser weiten Zone.
    Der unentbehrliche Grundsockel jeder gesellschaftlichen Ordnung war von Anfang an der Rückgriff auf eine Masse von Sklaven, die bei den unterworfenen Stämmen eingefangen wurden. Auf diese stützte sich jede Hierarchie, noch bevor die arabischen Sklavenhändler ihre Raubzüge ausweiteten und ganze Regionen Ostafrikas entvölkerten. Bis in die Gegenwart hat sich die grausame Praxis erhalten. Erst als die europäischen Kolonisatoren des neunzehnten Jahrhunderts, die an der westafrikanischen Küste ihrerseits einen abscheulichen Menschenhandel betrieben, dem schändlichen Gewerbe ein Ende setzten, hörte auch die Insel Sansibar auf, der große Umschlagplatz und Markt für »schwarzes Elfenbein« zu sein. Bis dahin hatte es geheißen: »Wenn in Sansibar die Trommel dröhnt, erstarrt ganz Ostafrika bis zu den Großen Seen in Furcht und Schrecken.«
    Die geringe präkoloniale Kenntnis, die wir von den Zuständen im Sahel zwischen Senegal und Rotem Meer besitzen, basiert auf den mehr oder weniger zuverlässigen Erzählungen arabischer Reisender und Händler, die neben Darfur – Land der Fur – auch die Verhältnisse in den Mamlakat oder Sultanaten von Funj, Wardai, Bornu, Mali, Ghana oder sogar Buganda schildern. Gewisse dieser Bräuche, die uns bizarr vorkommen, konnten noch in der Neuzeit im riesigen Kraal-Palast von Kampala von europäischen Ent­deckern bestätigt werden. Der »Kabaka« genannte Oberhäuptling von Buganda, der nicht zum Islam übergetreten war, hatte im neunzehnten Jahrhundert durch eine Christenverfolgung unter seinen eigenen Untertanen traurige Berühmtheit erlangt. Das Protokoll verlangte dort wie an anderen Höfen, daß der König niemals mit seinen Füßen den Boden berührte und stets getragen wurde. Wenn er nieste, mußten alle Anwesenden niesen, wenn er hustete, mußten auch sie husten. Niemandem war es erlaubt, dem Herrscher beim Essen zuzuschauen.
    Der König, dem übernatürliche Kräfte zugeschrieben wurden, durftekeines natürlichen Todes sterben, so daß er beim Auftreten lebensgefährlicher Krankheiten von seinen Höflingen vergiftet oder erstickt wurde. Noch befremdlicher empfanden die maghrebinischen Reisenden aus dem Norden eine bei den meisten animi­stischen Völkerschaften ausgeprägte Form des Matriarchats. In weiten Teilen Schwarzafrikas nimmt nicht der leibliche Erzeuger die Rolle des Vaters ein, sondern ein Bruder der Mutter, der Onkel. Ob dem der von den Römern geäußerte Verdacht zugrunde lag, »pater semper incertus – die Identität des Vaters ist stets ungewiß« –, bleibt dahingestellt. Erst die DNA-Analyse unserer Tage schließt diese Zweifel aus, aber vermutlich spielt auch der Satz aus dem Code Napoléon eine Rolle: »La recherche de la paternité est interdite – die Suche der Vaterschaft ist untersagt.« Die afrikanischen Königinnen, die in eigenen »Residenzen« lebten, waren verpflichtet, ihren Gemahl jeden Tag aufzusuchen, durften sich jedoch angeblich so viele Liebhaber leisten, wie sie wollten.
    Auf meinen Reisen in die Länder der Korangläubigen pflege ich stets ein Exemplar des großen maghrebinischen Vorläufers und Vorbildes Ibn Battuta mit mir zu führen, der im vierzehnten Jahrhundert im Auftrage des Sultans von Marokko eine weltumspannende Chronik seiner »Asfar« oder »Safarat« verfaßte.

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