Arabiens Stunde der Wahrheit
gezielte Irreführungen verlassen müssen. Beim Nennen des Namens Osama Bin Laden steigert sich die Heiterkeit Turabis zu schallendem Gelächter. Natürlich habe er ihn kennengelernt, und zwar intensiv. Dieser Bauingenieur, der niemals im Westen studiert hatte, war von der saudischen Regierungbeauftragt worden, die Hafenanlagen von Bur Sudan am Roten Meer auszubauen.
Bekanntlich gehörte dieser hochgewachsene, gutaussehende, noch relativ junge Mann jenem mächtigen Clan und Konzern an, dem sein Vater Mohammed Bin Laden als bescheidener Handwerker â aus dem jemenitischen Hadramaut zugewandert â zu einer beherrschenden Wirtschaftsposition im wahhabitischen Königreich verholfen hatte. Der Patriarch, der fünfzig Söhne gezeugt haben soll, galt nach der Dynastie El Saud als der reichste Mann im Staat. Auf Grund seiner beruflichen Beanspruchung und seines vielseitigen sexuellen Engagements konnte er schwerlich einen engen väterlichen Kontakt zu der Vielzahl seiner Nachkommen pflegen. So habe der kleine Osama sich vor allem seiner Mutter verbunden gefühlt. Sie war eine gebürtige Syrerin, die angeblich den von den Sunniten als schamanistische Ketzersekte geschmähten Alawiten angehörte. Mit knapp zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung Syriens hatten die Alawiten nach der Proklamation der syrischen Unabhängigkeit sämtliche Schlüsselpositionen der Republik inklusive der Präsidentschaft an sich gerissen. Trotzdem, so heiÃt es, sei der Knabe Osama von seinen Brüdern als »Sohn der Sklavin« gehänselt worden.
Wer kann schon beurteilen, welche Kindheitskomplexe dieser Spott bei dem jungen Osama ausgelöst und am Ende eine revolutionäre Grundstimmung gefördert hat, die ansonsten im Haus Bin Laden â aufs engste mit den saudischen Herrschern verbunden â ungewöhnlich war. Zu Beginn der neunziger Jahre wurde Osama Bin Laden vom saudischen Geheimdienst verschwörerischer Aktivitäten beschuldigt und fand Asyl im Sudan. Bei der Gewährung dieser Zuflucht hatte Turabi wohl eine maÃgebliche Rolle gespielt. Natürlich habe dieser junge Exilpolitiker an den Diskussionszirkeln teilgenommen, die der »Marabu« von Khartum veranstaltete. Die Gefolgschaft der Muslimbrüder, der »Ikhwan«, die ursprünglich in Ãgypten entstanden war, befand sich damals in der Mehrheit. Turabi, der das saudische Wahhabiten-Regime verabscheut, stellte mit Befremden fest, daà Osama Bin Laden â bei aller AufÂlehnunggegen die sündhafte Dynastie von Riyad â durch die extrem rückständige, puritanische Interpretation des Korans, wie sie zwischen Jiddah und Dahran unter Berufung auf die hanbalitische Rechtsschule die Regel ist, stark beeinfluÃt war.
Das Bild, das der Scheikh von dem privilegierten Sproà einer milliardenschweren jemenitischen Familie entwirft, entspricht so gar nicht den Vorstellungen, die in den westlichen Medien kolÂportiert werden. Ãber ein gewisses Prestige habe dieser würdig auftretende Hüne bei den jüngeren Gläubigen durchaus verfügt, hatte er doch für den Abwehrkampf der afghanischen Mujahidin gegen die sowjetische Besatzung eine Art »grüne Legion«, FreiÂwillige aus Âallen nur denkbaren islamischen Ländern â von Tschetschenien bis Indonesien â, angeworben. Persönlich hatte er wohl recht wacker am Partisanenkampf gegen die gottlosen »Schurawi« teilgenommen. Ihm kam ebenfalls zugute, daà er ein wohlklingendes Hocharabisch sprach. Was jedoch seine Kenntnis der Heiligen Schrift, des Korans betrifft, so habe er eher wie ein »Talib«, ein Student, denn als ein »Ustaz«, ein Meister der theologischen Wissenschaft, gewirkt.
Turabi beschreibt einen zutiefst frommen und bescheidenen Jihadisten. Sein sanfter Blick ist ihm in Erinnerung geblieben und eine an Schüchternheit grenzende Zurückhaltung in allen Debatten, die von den Arabern als »Hekma« bezeichnet und besonders geschätzt wird. Aber wie sei es nur möglich gewesen, aus diesem stillen, oft gehemmt auftretenden Revolutionär der islamischen »Salafiya« das zentrale Superhirn einer weltweiten Verschwörung, den grandiosen Organisator eines hemmungslos fanatischen Terrorismus zu machen? Der Mythos Osama Bin Laden sei von den amerikanischen Imperialisten ins Leben gerufen worden. Man habe ihn als fünften Reiter der Apokalypse
Weitere Kostenlose Bücher