Arabiens Stunde der Wahrheit
el Aqsa â im fernsten Westen«, wie die Marokkaner ihr nordafrikanisches Sultanat benennen. Doch selbst die iberische Halbinsel wurde von internen Glaubenszwisten nicht verschont.
Ãhnlich wie die Muâtaziliten von Bagdad hatte in Córdoba der arabische Philosoph, Arzt und Rechtsgelehrte Ibn Ruschd die konservativen »Ulama« gegen sich aufgebracht, als er seinerseits im zwölften Jahrhundert die Denkmethoden der aristotelischen Philosophie in die islamische Heilslehre zu integrieren suchte und den Wortlaut des Korans relativierte. Ibn Ruschd, der unter dem Namen Averroës im christlichen Abendland groÃes Ansehen genoÃ, bliebes nicht erspart, daà er von den offiziellen Kündern der koranischen Lehre als Ketzer verfolgt und daà seine Werke verbrannt wurden.
Während die Reconquista der Iberischen Halbinsel durch die christlichen Armeen des Abendlandes sich schrittweise vorankämpfte, fand eine bemerkenswerte intellektuelle Osmose statt. Die Thesen des islamischen Freigeistes Averroës und seine Rückgriffe auf die früh-hellenische Philosophie fanden bei einfluÃreichen Klerikern der römisch-katholischen Kirche Anklang und wurden dort zum Instrument einer fundamentalen theologischen Neuerung.
Es waren ausgerechnet die Mönche des neu gegründeten Dominikaner-Ordens, die sich in dieser Hinsicht am aufgeschlossensten zeigten. Dieser Prediger-Orden â »ordo praedicatorum« â, der von Papst Innozenz III. als unerbittliches Instrument der Inquisition gegen die damals vom Balkan auf Südwest-Frankreich übergreifende Irrlehre der Katharen oder Albigenser eingesetzt wurde, ermöglichte das Amalgam zwischen griechischer Philosophie und päpstlicher Rechtgläubigkeit. Die Summa theologica des Kirchenvaters Thomas von Aquin bemühte sich um die Vereinbarkeit von Glauben und Verstand in den Grenzen der damaligen Vorstellungen und schuf damit die Voraussetzungen für eine geistliche Ãffnung der römischen Kirche. »Praestet fides supplementum sensuum defectui«, dichtete Thomas von Aquin, der »Doctor angelicus«: »Möge der Glaube weiterhelfen, wo die menschlichen Sinne, wo der Verstand versagt.«
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Scheikh Turabi hat kurzfristig den Raum verlassen, um zu telefonieren. Ibrahim es-Zayat beugt sich zu mir, um mir zu gestehen, wie verblüfft er über die Liberalität, über den Nonkonformismus dieses sudanesischen Imam ist. Immerhin war man so weit gegangen, Scheikh Turabi als »Papst des Terrorismus« zu bezeichnen. Würde es ihm am Ende ergehen wie den Muâtaziliten des Kalifen Maâmun? Lord Cromer, der frühere Statthalter Ãgyptens, hatte einmalbehauptet: »Reformed Islam is no longer Islam« â ein reformierter Islam sei nicht länger als Islam zu bezeichnen. In der ständigen Auseinandersetzung innerhalb einer Masse von 1,3 Milliarden Korangläubigen hat der theologische Disput eine eminente politische Bedeutung gewonnen.
Scheikh Turabi ist zurückgekommen und hat seinen Monolog wiederaufgenommen. In einer der wenigen Pausen, die er seinen Gesprächspartnern gewährt, räume ich ein, daà ich in Khartum eine unerwartete Toleranz gegenüber der christlich-koptischen Minderheit festgestellt habe. Zwar gesteht der Koran der »Familie des Buches«, den abrahamitischen Monotheisten â »dhimmi« genannt â freie Religionsausübung und begrenzte Ãberlebensgarantie zu. Manche Autoren haben die Angehörigen dieser Minderheiten allzu wohlwollend als »Schutzbefohlene« bezeichnet, obwohl deren Aussage vor Gericht nur die Hälfte der Aussage eines Muslim wert war, sie vom Wehrdienst ausgeschlossen, oft durch besondere Kleidungsmerkmale diskriminiert wurden und neben einer Reihe von Demütigungen mit einer speziellen Kopfsteuer belastet waren. »Bekämpft die Schriftbesitzer«, gemeint sind Christen und Juden, so heiÃt es im Koran, »bis sie den Tribut entrichten â hatta yuâtu el jiziyata.«
Keinerlei Zugeständnis hingegen gewährt die Scharia den Animisten, den Heiden, den »Kuffar«, den Gottlosen, liest man doch in der dreizehnten Sure: »Mit den Götzenanbetern, den Spaltern, kann es keinen Pakt geben vor Gott und seinem Propheten.« Gerade in Afrika war noch im neunzehnten Jahrhundert die Weisung Mohammeds, die sich zu seinen Lebzeiten auf den Polytheismus der arabischen Stämme
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