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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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»Luxusklasse« der »Archambault« war mir als einziger Einheimischer ein Imam aufgefallen, der sich von den Europäern absonderte und in aller Gelassenheit seine Gebete verrichtete. Da meine Arabischkenntnisse ziemlich frisch waren, wandte ich mich in der Sprache des Propheten an ihn, was er zu schätzen wußte. Er drückte sich allerdings auch in vorzüglichem Französischaus. Bei der Erwähnung Ibn Battutas, dessen herablassende Schilderung der damals noch weitverbreiteten »Jahiliya« sowie der barbarischen Bräuche der Eingeborenen wies er mich zurecht: »Der Islam hat ihnen alle Würde und Gesittung gebracht sowie das Gefühl einer Zugehörigkeit zu einer weltweiten Brüderlichkeit im Schatten Allahs. Vergleichen Sie doch nur das gesetzte, ehrbare Auftreten eines afrikanischen Muslims mit der Zügellosigkeit, der geistigen Verwirrung, den Lastern, die so viele Christen oder Animisten dieses Erdteils kennzeichnen.«
    Am Ufer des Niger waren drei Tuareg auf ihren Kamelen aufgetaucht. Sie verharrten reglos in ihrer indigofarbenen Verhüllung und betrachteten unseren Schaufeldampfer durch die Sehschlitze ihres Turbans mit königlicher Gelassenheit. Unendlich könnte man spekulieren über die diversen Aspekte des Islam im schwarzen Afrika. Ich mußte an einen Abend in Ost-Guinea denken. Das lag sehr lange zurück. Ich war von Conakry aus zwölf Stunden lang über verrostete Schienen mit dem Triebwagen durch das Fouta-Djalon-Gebirge nach Kankan am Oberlauf des Niger gerattert. Kankan galt auch unter der Herrschaft des Marxisten Sekou Touré, der sich nach der Unabhängigkeitserklärung persönlich mit de Gaulle heftig überworfen und ein repressives marxistisches Regime eingeführt hatte, weiterhin als heilige Stadt des Islam. Der Name dieser trägen Sahel-Ortschaft gemahnte an den schwarzen Mali-Herrscher Kankan-Musa, der im vierzehnten Jahrhundert an der Spitze einer gewaltigen Karawane nach Mekka aufgebrochen war. Seine Kamele waren angeblich so reich mit Gold beladen, daß der jäh gestürzte Kurs des Edelmetalls im Suq von Kairo nach Durchreise Kankan-Musas lange brauchte, um sich zu erholen. Von der Herrlichkeit dieses Mandingo-Königs war in Kankan nichts mehr zu spüren.
    Auf den flachen Dächern kauerten Aasgeier. Am Flußbett des Niger fiel mir eine Gruppe schwarzgekleideter Knaben auf. Sie waren vor kurzem beschnitten worden und verrichteten unter Leitung eines frommen Greises das Abendgebet. Im Freilichtkino wurde ein ägyptischer Film gezeigt. »Zuhur el Islam – Blumen des Islam« lauteteder Titel. Das Martyrium der ersten Gefährten und Anhänger des Propheten in Mekka wurde auf der flackernden Leinwand dargestellt. Das Kino war bis an die Außenmauer zum Brechen gefüllt. Die ausschließlich afrikanischen Zuschauer erbauten sich staunend an der wundersamen Frühgeschichte ihrer Religion. Sie brüllten vor Freude, als die frommen »Ansar« aus Medina endlich über ihre Verfolger siegten. Völlig außer Rand und Band geriet die Zuschauermasse, wenn Bilal auftrat, jener Negersklave, den der Prophet Mohammed freigelassen und auf Grund seiner mächtigen Stimme zum ersten Gebetsrufer, zum Muezzin, berufen hatte. Die Taten Bilals – er zeichnete sich auch durch herkulische Kraft aus – lösten Stürme der Begeisterung aus. In der Figur Bilals, dieses orientalischen Spiritual-Sängers aus der Zeit der Hijra, vollzogen die einfachen Seelen von Kankan die Identifizierung ihrer schwarzen, stets unterdrückten Rasse mit der Gleichheitsbotschaft des gesandten Gottes aus dem fernen Arabien.
    Islamische Négritude
    Dakar, September 1977
    Zur Zeit meiner Afrika-Berichterstattung hatte ich den Schwerpunkt meiner Tätigkeit neben Leopoldville, das heute Kinshasa heißt, auf Dakar, die Hauptstadt des Senegal, an der extremen Westspitze Afrikas ausgerichtet. Dieses frühere Zentrum des französischen Sklavenhandels hatte seinen tribalen afrikanischen Ursprung auf recht harmonische Weise mit den Neuerungen der gallischen Kolonisation vermengt. Ich fühlte mich wohl am Cap Verde. In diesem zu 90 Prozent islamischen Staat übte in der ersten Phase der »Indépendance« der katholische Christ Leopold ­Sedar Senghor die Präsidentschaft aus. Der tiefschwarze Afrikaner zählte zu den brillantesten »Académiciens« und Dichtern Frankreichs, hatte

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