Arabiens Stunde der Wahrheit
Damals war es noch Mode, marxistischen Ideen anzuhängen. Viele schwarze Studenten trafen sich im bescheidenen Lokal einer linksorientierten »Partei der afrikanischen Unabhängigkeit«, das â mitBildern von Lenin und Ho Tschi Minh geschmückt â mitten im billigen Bar- und Bordellviertel der Rue de Bayeux untergebracht war. Da einige dieser jungen Leute beim senegalesischen Rundfunk arbeiteten, wo ich meine Kommentare ins Mikrophon sprach, fand ich Zugang zu ihnen und gewann schnell ihre Sympathie. Die Revolutionäre bezeichneten den Präsidenten Senghor als einen »Affen der französischen Kolonisation«. Aber ihre wütendste Kritik richtete sich gegen die Marabuts, ihr System der »Turuq«, gegen die Verblendung ihrer unterwürfigen Ikhwan. Für sie präsentierten sich diese religiösen Scharlatane wie Medizinmänner im trügerischen Gewand des Islam.
Die Zauberkunst des »Gris-Gris« oder des »Ju-Ju«, wie man im benachbarten Gambia sagte, der wundertätigen Amulette, die sich aus Tierknochen, Haaren, Wurzeln und Dreck zusammensetzten, sei ihnen vertrauter als die Suren des Korans. In gewissen Savannengegenden sei es noch üblich, Schiefertafeln mit Koransprüchen zu beschreiben, die Kreide dann abzuwaschen und das gewonnene Getränk als Heilmittel gegen alle möglichen Krankheiten zu verkaufen. »Es wird Zeit, daà diese Volksbetrüger mit ihrer Verdummungslehre vom wissenschaftlichen Materialismus verdrängt werden«, betonte ein zwei Meter hoher, gazellenschlanker Student der Soziologie.
Inzwischen hat der Marxismus mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sein Prestige und seine Anziehungskraft verloren. Aus dem arabischen Raum â aus Marokko, Ãgypten und Saudi-Arabien â eilen neue Missionare an das Cap Verde und in den Sahel, um der negroiden Verirrung des Marabutismus und der wild wuchernden Bruderschaften einen orthodoxen Riegel vorzuschieben. Die Bewegung der Ulama hat vor allem bei jenen senegalesischen »Tullab« Fuà gefaÃt, die in den Universitäten von El-Azhar in Kairo oder in der Qarawiyin von Fez die Scharia studieren. Sie besitzen neuerdings in der Medina von Dakar prächtige Moscheen, die von den Gönnern aus Maghreb und Maschreq nicht ohne politische Hintergedanken gestiftet werden. Vor allem die Agitatoren des wahhabitischen Rigorismus finden Zuspruch bei den aufbegehrendenGläubigen. Sie verfügen über schier unerschöpfliche Finanzmittel, um ihre unduldsame Lehre zu verbreiten, die Saudi-Arabien trotz der engen Bindung der dortigen Dynastie an die USA zu einem geheimen Hort des Terrorismus und der Verschwörung werden läÃt.
Aber ich habe auch erlebt, wie in einer Runde von Journalisten ein senegalesischer Kollege groÃe Heiterkeit und Zustimmung auslöst, als er seine Skepsis gegenüber den Arabern äuÃert: »Früher haben sie uns auf ihren Sklavenmärkten verkauft, und heute kaufen sie uns mit ihren Petrodollars.«
Der Heilige Krieg der Fulani
Kano, März 2000
Mehr als ein halbes Jahrhundert hat es gedauert, bis die seit Gründung des unabhängigen Sudan von Khartum vorprogrammierte Spaltung in eine arabisierte islamische Republik im Norden und einen überwiegend animistischen oder christianisierten Separatstaat der Niloten-Stämme im Süden sich tatsächlich realisieren sollte. Ãhnliche Erwartungen richten sich seit Dekaden auf jene disparat strukturierten postkolonialen Gebilde, die sich in krampfhaftem Ãberlebenstrieb an die von den Kolonialmächten gezogenen Grenzen klammern.
Das wirkliche kontinentale Problem stellt die gewaltige Föderation Nigeria mit ihren 150 Millionen Menschen dar, die im ganzen westafrikanischen Raum als Führungsmacht auftritt, im Innern jedoch durch erbitterte tribale und religiöse Verfeindungen in ihrer Existenz bedroht ist.
Im Mai 1967 hatte der Ibo-General Ojukwu, von Frederic Forsythe in seinem Roman The dogs of War als afrikanischer Held gezeichnet, die Sezession des Biafra-Staates proklamiert, nachdem es im Norden der Föderation zu fortgesetzten Pogromen gegen seine Stammesbrüdergekommen war. In mancher Beziehung lieÃe sich eine Parallele zum jetzigen Bürgerkrieg im Sudan feststellen: Nord gegen Süd, Islam gegen Christentum hieà es auch damals. Aber so einfach verhielten sich die Dinge nicht bei diesem bei weitem volkreichsten Giganten Afrikas.
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