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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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dem Niger stützte. Die offizielle Religion war unter den Songhai ebenfalls der Islam, aber die Masse der Bauern und Tagelöhner, die in der Randzone des Flusses und in den Oasen Reis und Hirse anbauten, verharrte in der »Jahiliya«, im Götzenkult der »Unwissenheit«.
    Eine klägliche, späte Kopie dieser Regierungsform sollte ich in der Nachbarschaft von Ouagadougou vorfinden, der Hauptstadt von Burkina Faso, das zur Zeit der französischen Kolonisation »Ober-Volta«genannt wurde. Dort begegnete ich dem König der Mossi, der zum Islam übergetreten war und über die Leibesfülle eines Sumokämpfers verfügte. Durch das Tragen einer vergoldeten Krone und das unbewegliche Verharren seines unförmigen Körpers auf dem niedrigen, ebenfalls goldgefärbten Holzschemel täuschte er vor seinem »Palast« aus Lehm eine Autorität vor, die er längst nicht mehr besaß. Viele seiner Untertanen, die sich im Ersten Weltkrieg als Soldaten der französischen Kolonialarmee bewährt hatten, verharrten noch im angestammten Aberglauben. Der »Malik« war stets umgeben von einer zahlreichen Dienerschaft fast unbekleideter Pagen von zehn bis zwölf Jahren, die – ihrem Verhalten nach – als Diener oder Lustknaben herhalten mußten.
    Ich hatte mich nur kurz in Goa aufgehalten. Nach zweitägiger Flußfahrt auf den tiefgrünen Wassern des Niger, aus dem abends die wulstigen Köpfe der Flußpferde wie Felsbrocken herausragten, näherten wir uns der mythischen, fast heiligen Stadt Timbuktu. Der Ruf dieses einstigen Hafens am Niger muß zur Zeit der maurischen Herrschaft über Spanien so groß gewesen sein, daß die »Qibla«, die Gebetsnische, in der Freitagsmoschee von Córdoba, deren herrlicher Säulenwald inzwischen in eine katholische Kirche umgewandelt wurde, nicht – wie vorgeschrieben – in Richtung Mekka ausgerichtet war, sondern nach Timbuktu. So behauptete es jedenfalls der Spanier, der mich begleitete.
    Kein Wunder, daß der marokkanische Sultan Abdel Mansur danach trachtete, diesen Ort der Frömmigkeit und des vermutlichen Reichtums unter seine Gewalt zu bringen. Er schickte seine Soldaten quer durch die Sahara, die vor fünf Jahrhunderten noch nicht die heutige Ausdehnung erreicht hatte, in den afrikanischen Sudan. Für diese abenteuerliche Expedition hatte er unter dem Befehl des Pascha Dschaudar eine überwiegend aus christlichen Renegaten zusammengesetzte Truppe aufgeboten, katholische Spanier, die in marokkanischer Gefangenschaft zum Islam übergetreten waren. Der Sultan schenkte diesen Konvertiten offenbar mehr Vertrauen als seinen stets aufsässigen Untertanen aus dem Atlas.
    Auf diese kriegerische Epoche stützte sich der Anspruch vom Groß-MarokkanischenReich, der noch in jüngster Vergangenheit von der Istiqlal-Partei und ihrem Inspirator Allal el-Fassi erhoben wurde. Die südliche Einflußzone des Scherifischen Reiches sollte bis zum Niger und nach Timbuktu reichen. An die spanischen Renegaten des Sultans Abdel Mansur mußte ich intensiv denken, als ich die Silhouette des festungsähnlichen Turms der Sankore-­Moschee entdeckte. Von der imaginären Herrlichkeit des negro-islamischen Songhai-Reiches war nur noch ein Schatten übriggeblieben. Staubige Gassen und trostlose Mauern duckten sich unter die grausame Sonne. Lediglich ein paar kunstvoll geschnitzte Holzpforten zeugten von alter Pracht.
    Aus den brüchigen Minaretten der ockerfarbenen Gebetshäuser ragten schwarze Trägerbalken wie eine barbarische Dekoration. Die höchsten Kuppeln und Zinnen waren von Straußeneiern gekrönt. Auf dem Marktplatz erstand ich bei den Bambara-Frauen Hals- und Armschmuck aus Lehm und geflochtenem Stroh, die mit einer goldglänzenden Tinktur überpinselt waren und deshalb von den Franzosen »l’or de Timbouctou – das Gold von Timbuktu« genannt wurden.
    Für Dschaudar und seine Männer war der angebliche Reichtum des schwarzen Nigerreiches zu einer schmerzlichen Fata Morgana geworden. Die spanischen Söldner, die ihr »El Dorado« statt in der Neuen Welt im Herzen Afrikas suchten, waren einer mit Raffsucht gepaarten Donquichotterie verfallen. Wie groß muß die Verlorenheit dieser Abenteurer gewesen sein, als die endlose Sahara hinter ihnen lag und sie sich auf ein ruhmloses Garnisonsleben an diesem gottverlassenen Strom

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