Arabiens Stunde der Wahrheit
Christenâ¹. Dies deshalb, weil es unter ihnen Priester und Mönche gibt, und weil sie nicht hochmütig sind.« Auf diese Weise war es Barth gelungen, den heiligen Zorn der Fulbe zu besänftigen.
Barth berichtet über eine andere Begegnung mit einem blinden Greis, einem Fulani namens Sambo, der ihn auÃerordentlich beeindruckte.»Ich hatte nicht im geringsten damit gerechnet«, so notierte er, »in der entlegenen Ortschaft Ghirmi einen Mann zu finden, der mit allen Facetten der arabischen Literatur vertraut war und sich darüber hinaus mit Aristoteles und Plato befaÃt hatte, soweit deren Schriften ins Arabische übertragen worden waren. Sambo hatte sich im Orient aufgehalten, als dort der Krieg zwischen Türken und Wahhabiten tobte. Ich suchte ihn täglich auf und unterhielt mich mit ihm über den Glanz des Kalifats â von Bagdad bis Spanien. Er war von Jugend auf mit Astrolaben und Sextanten vertraut. Dieser ungewöhnlich aufgeschlossene Mann muà in seinem innersten Herzen dennoch ein âºWahhabiâ¹ gewesen sein.«
Letztere Bemerkung Heinrich Barths verwunderte mich, denn der Wahhabismus war als extrem strenge Ausrichtung des Islam im arabischen Nedjd durch den Prediger Abd el-Wahhab im achtzehnten Jahrhundert ins Leben gerufen und vom Krieger-Clan der Banu Saud als religiöse Leitschnur übernommen worden.
Bei unserer Weiterfahrt auf dem Niger in Richtung Kulikoro sollten uns die gewaltigen Lehmkathedralen von Mopti und vor allem Djenné weit stärker beeindrucken als die abbröckelnden Fassaden von Timbuktu. Der Islam hat in diesem Teil des Sudan seltsame Blüten getrieben. Die Lehre des Propheten war durch maurische Eroberer, Prediger und Kaufleute Schritt für Schritt erst in die Sahelzone, dann bis an die Grenze des tropischen Regenwaldes verbreitet worden. Es vollzog sich ein bizarrer Synkretismus zwischen den krausen animistischen Vorstellungen der Ureinwohner und der strengen Botschaft des Koran. Der afrikanische Islam organisierte sich in Bruderschaften, in »Turuq« â das arabische Wort »Tariqa« heiÃt »der Weg« in der Ãbersetzung.
Das Tariqa-Wesen Schwarzafrikas erscheint deshalb den arabischen Soziologen von heute oft als eine Degeneration der spiritualistisch, spekulativ und meditativ ausgerichteten Sufi-Bewegung, die an Euphrat und Nil bereits im hohen Mittelalter florierte und sich in Auflehnung gegen die selbstgerechte, versteinerte Wissenschaft der offiziellen Schrift- und Rechtsgelehrten der Sunna, gegen die »Ulama«, entfaltete. Immerhin hatten sich zur Zeit der arabischenund dann türkischen Kalifen die Derwisch-Orden â den Turuq durchaus verwandt â auch im eigentlichen Orient verbreitet und beim kleinen Volk wachsenden Anklang gefunden. Wenn im Maghreb der Berber wie im Sahel-Gürtel der Sudan-Afrikaner die wundertätigen Marabuts eine so ungewöhnliche und unorthodoxe Bedeutung erlangten, so ist das nicht zuletzt mit der permanenten Kampf- und Missionsrolle des Islam in diesem Erdteil zu erklären.
Die »Tariqa« oder »Zawiya«, wie man in Nordafrika sagt, waren Instrument der kriegerischen Expansion, aber auch der erfolgreichen Assimilation des Islam im afrikanischen Neuland des Südens. Die stärkste dieser Bruderschaften, die vom Senegal bis zum oberen Nil über eine zahllose Anhängerschaft verfügt, ist die »Qadiriya« geblieben, und deren Ursprung geht auf einen arabischen Sufi, Abdel Qadr el-Jilani, zurück, der im Bagdad des zwölften Jahrhunderts predigte. Die zweitwichtigste Richtung, die »Tidjaniya«, entstand erst im Marokko des achtzehnten Jahrhunderts unter der Inspiration des Marabuts Sidi Ahmed el-Tidjani und stellte ein Aufbäumen maghrebinischer Frömmigkeit gegen den Verfall islamischer Macht im äuÃersten Westen dar.
Als die Franzosen mit der systematischen Eroberung und Kolonisation West- und Ãquatorialafrikas begannen, stieÃen sie auf den bewaffneten Widerstand der »Khuan« â eine Verballhornung des arabischen »Ikhwan« â oder Brüder. Sie muÃten die Banden von El Hadj Omar, einem Angehörigen der Tidjaniya, im heutigen Senegal und Mali unterwerfen, verfolgten den Mandingo Samory Touré bis ins Gebirge des Fouta-Djalon und prallten schlieÃlich am Tschad um die Jahrhundertwende mit den Reiterheeren des streitbaren Rabah zusammen.
Unter den Reisenden der
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