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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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gemeinsam mit dem Antillen-Politiker Aimé Césaire denBegriff der »négritude« zu einem Ruhmestitel erhoben und in herrlichen Oden eine Kulturüberlagerung zelebriert, für die er folgende Formel gefunden hatte: »Toute civilisation est métissage – Jede Zivilisation ist die Frucht einer rassischen Vermischung.« Tatsächlich war noch unlängst den schwarzen Schulkindern Französisch-Westafrikas in ihren Lehrbüchern eine Geschichtsdeutung beigebracht worden, die mit den Worten begann: »Nos ancêtres les Gaulois – Unsere Vorfahren die Gallier«.
    Ich war mehrfach mit Senghor zusammengetroffen, der auch in deutscher Literatur außerordentlich bewandert war. Trotz seines kleinen Wuchses imponierte seine Persönlichkeit. In dem Gedicht »Masque nègre« hat Senghor seinen poetischen Höhepunkt erreicht.
    Von Dakar aus schwärmte ich oft nach Osten aus und bewegte mich auf der roten Laterit-Piste, die längs der Bahnlinie nach Bamako, der Hauptstadt von Mali, verläuft. Der Sahel erstreckte sich hier in flacher, ermüdender Monotonie. Die Hecken rings um die Dörfer aus Lehm- und Strohhütten waren mit gelbem Staub verkrustet. Die Baobab-Bäume verstellten mit runden Leibern, mit nackten, weißen Ästen, die sie wie drohende Arme ausstreckten, als befremdliche Wesen den blaßblauen Horizont. Je weiter die Fahrt ins Innere ging, desto häufiger wurden die hohen Erdnußpyramiden, die unermüdliche Scharen von Wolof-Bauern säuberlich aufschichteten. Die Erdnuß war die Haupternte und die wesentliche Einnahmequelle der Republik Senegal. Die schwarzen Menschen, die sich wie Ameisen mit der Ernte und Lagerung der »Cacahouètes« beschäftigten, folgten einem religiösen Gebot, verrichteten eine Allah gefällige Tat.
    Der Senegal war zur Heimstätte einer ganz bizarren Frömmigkeit geworden. Unter dem Volk der Wolof griff Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Sekte der »Muriden« – »Anwärter« oder »Willige« – um sich, die der ketzerische Marabut Amadu Bamba ­gegründet hatte. Der gewöhnliche Muride war dazu verurteilt, als Erdnußbauer sein Leben zu fristen und seine Gottgefälligkeit durch einen möglichst hohen Ernteertrag zu beweisen. Seine religiöse Verpflichtungbeschränkte sich auf die Feldarbeit. Eine ganze Struktur von Marabuts überwachte diese überaus profitable Geschäftigkeit. Sie gingen anstelle der einfachen Muriden den rituellen Pflichten des Islam nach. Sie entlohnten die Erdnußbauern entsprechend ihren geringen Bedürfnissen, erwarben mit dem Gewinn der Ernte weitere Ländereien, nahmen die Vermarktung der »Arachides« in die Hand und herrschten als geistliche Potentaten, mit magischen Kräften ausgestattet, über eine kollektivistisch organisierte, ziemlich armselige Gemeinschaft.
    Amadu Bamba hatte bis zu seinem Tod im Jahr 1927 bereits 400000 Gläubige um sich geschart. Der »Große Serigne« oder »Höchste Khalifa« ließ sich zuletzt als Inkarnation Gottes auf ­Erden feiern. Er wurde in der monumentalen Moschee von Tuba begraben. Angehörige seiner Sippe folgten ihm an der Spitze der Muridiya. Sie verfügten über den Segen Allahs, die »Baraka«, nahmen die Sünden ihrer Gefolgsleute auf sich und verbürgten sich für deren Seelenheil. Die demütigen Erdnußbauern – Talibé genannt – gaben sich ihrer fröhlich-kindlichen Gläubigkeit hin. Der »Grand Khalifa« fuhr in einem schwarzen Cadillac durch die jubelnde Menge. Das feiste Gesicht war von der eigenen Würde durchdrungen. Er warf ein paar Münzen und Geldscheine unter das Volk. Die Talibé balgten sich um die bescheidenen Gaben, die den Wert von Amuletten besaßen. Auch die anderen Marabuts dieser Sekte zeichneten sich durch Fettleibigkeit und Arroganz aus. Sie verbargen ihre Augen hinter mächtigen Sonnenbrillen und rollten ebenfalls in stattlichen Limousinen. Häufig saßen junge, schwarze Konkubinen im golddurchwirkten Bubu neben den heiligen Greisen. Eine Truppe halbnackter, wilder Gesellen mit verfilztem Haar ließ schwere Keulen wirbeln und sorgte für Ordnung. Der Islam war hier zweifellos in ausbeuterischen Aberglauben abgeglitten.
    Natürlich stieß diese Pervertierung der koranischen Lehre bei den zahlreichen jungen Intellektuellen von Dakar auf heftigen Protest.

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