Arabische Nächte
Hoffnung, er hätte ihre Reaktion nicht bemerkt. Sie hätte der Verlockung seines Blickes, dem Zauber seiner Augen widerstehen sollen.
»Welche Künste beherrschst du sonst noch, bahia?«
Wieder schaute sie auf und begegnete der erschreckenden Willenskraft hinter seinem Blick. »Ich komme in einer dringenden Sache, burra sahib.« Aus ihrem Ärmel nestelte sie den Brief Lord Abbotts.
Er nahm das Schreiben und warf es, ohne es eines Blickes zu würdigen, auf einen mit edlen Hölzern und Perlmutt eingelegten Tisch. »Hast du so wenig Mut, dass du nicht für dich sprechen kannst? Komm. Ich zeige mich dir.« Er wollte nach ihr greifen. »Wirst du dich nicht für mich entschleiern?«
»Nein!« Als sie zurückwich, hörte sie ihn schallend und verächtlich lachen.
»Nun, ein wenig Mut hast du ja. Schöne Frauen haben das meist.«
Es wollte ihr keine Erwiderung auf sein Kompliment einfallen. Wie enttäuscht würde er über die Tatsache sein, dass sich nur ein unscheinbarer Zaunkönig hinter ihrer abeyya und dem Schleier verbarg. Ein so reicher und mächtiger Mann musste einen Harem besitzen, in dem die Konkubinen einander an Schönheit übertrafen und die unscheinbarste sie sogar noch ausstach.
Inzwischen ging er in die Mitte des Raumes zu einem niedrigen breiten Diwan, auf dem sich Seiden und Pelze häuften, ließ sich darauf nieder, legte sich auf den Kissen bequem zurecht und schloss die Augen. Binnen kurzem vernahm sie leise Geräusche, die verrieten, dass er schlief.
Wachsam näherte sie sich der Liegestatt, während ihr Blick in entfernte Winkel sprang, in denen vom Wind bewegte Draperien hingen. Sicher war es nicht seine Absicht, sie warten zu lassen, während er schlummerte? Sollte es sich abermals um eine List handeln, würde er sie jetzt nicht mehr überrumpeln.
Doch das sonderbar bemalte Gesicht, in das sie blickte, zeigte die arglose Miene eines Schlafenden. Was für eine Unverschämtheit! Sie musste sich zurückhalten, um ihn nicht mit der Spitze ihres Pantoffels anzustoßen. Stattdessen verschränkte sie die Arme und sagte in ihrem verächtlichsten Ton: »Es heißt, dass die Listen des Hind Div unerschöpflich seien. Aber ach, ich sah nur die schäbigen Tricks eines gewöhnlichen Gauklers, der seiner eigenen plumpen Kunststücke bald überdrüssig wird.«
Obwohl seine Augen geschlossen blieben, sah sie ein vieldeutiges Lächeln um seinen Mund. Beruhte es auf Belustigung oder Verachtung? Ohne in seine Augen zu schauen, konnte sie es nicht beurteilen. »Erbitte eine Gunst, ayah.«
Diesmal zögerte sie nicht. Anders als die verschlungene Förmlichkeit des Orients kam die Direktheit des Englischen ihr jetzt mehr gelegen. »Ich benötige Eure Hilfe, um drei Personen von Bagdad nach Bushire zu schaffen.«
»Jedes Kamel kann diese Aufgabe erfüllen«, antwortete er in dem obskuren Dialekt der Nordprovinzen. Glaubte er, sie dadurch aus dem Konzept zu bringen?
»Nicht jedes Kamel«, antwortete sie in derselben Sprache, da sie viele der Dialekte gelernt hatte, in denen der Gewürzhandel abgewickelt wurde. »Ich brauche eines, das seine Passagiere im Höcker versteckt.«
Mit geschlossenen Augen seufzte er tief. »Ein solches Tier ist mir nicht bekannt.«
»Sicher könnte der Hind Div es herbeizaubern.«
Sie erwartete eine heftigere Reaktion auf ihren Spott; er aber schüttelte nur den Kopf auf seinem seidenen Kissen. »Das Schicksal dreier farangi ist hierzulande ohne Bedeutung. Der Hind Div lehnt deine Bitte ab.«
Die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, verkniff sie sich. Also ahnte er, dass sie eine farangi, eine Engländerin, war. Doch wer war er, dass er ihre Bitte zurückwies? Er war kein Kalif, der über wehrlose Untertanen wie ein Despot gebot, und hatte ihre Bitte nicht bis zu Ende angehört.
»Der Kluge hört nie das >Nein< einer Ablehnung, sondern eine Aufforderung fortzufahren, bis man handelseins wird.« Sie hielt sich an den Rat ihres Vaters. Auch der Hind Div musste einen Preis haben.
Leise ergänzte sie: »Findet Ihr es nicht seltsam, dass der Herrscher trotz des Abkommens mit den Franzosen die Engländer nicht des Landes verwies?« Sie musterte diese dösende Katze aufmerksam. »Vielleicht will er die einen gegen die anderen ausspielen. Der Vorsichtige hält sich Feinde und Freunde gleichermaßen warm.«
Der Hind Div wandte ihr jäh den Kopf zu und schlug die Augen auf. »Du bist klüger, als man von einer Frau erwartet. Aber warum willst du mich mit deinem spärlichen Wissen von
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