Arabische Nächte
Geld, und als sie es ihm übergab, sagte er hastig: »Ala alshemal. Haltet Euch immer links. Vierzig Schritte!«
»Wie weit ist es?« Doch er hatte sich bereits verkrochen, und sie wusste, dass sie von ihm nichts mehr zu hören bekommen würde.
»Vierzig Schritte«, murmelte sie vor sich hin. Die Angabe war in einem Land, in dem >vierzig< als Bezeichnung für jede größere Zahl diente, von geringem Nutzen. Vierzig Schritte konnten vierzig oder vierhundert bedeuten.
Sie machte sich nicht die Mühe, ihre Schritte zu zählen - registrierte aber, nachdem sie in das schmale Gässchen, das er ihr gezeigt hatte, eingebogen war, dass sie plötzlich nichts mehr vom Marktlärm hörte. Mehr noch, es lag Musik in der Luft. Jemand spielte auf dem Dudelsack die schottische Weise >Das Mädchen mit dem Rattenschwanz<. Welche Kühnheit des Musikanten, sich den Franzosen als Feind zu erkennen zu geben!
Doch konnte dieser mutwillige Affront ihr Glück und ein Zeichen sein, dass sie die Wohnung des Hind Div gefunden hatte. Er gehörte zu jenen, die nichts und niemanden fürchteten.
Beherzt eilte sie auf die einzelne schmale Tür in der hohen Hausmauer zu und zog an der gewebten Glockenschnur, die daneben hing. Das Geräusch der Glocke hörte sie nicht, doch die Musik verstummte, und im nächsten Moment erscholl von oben ein Ruf.
»Du da! Verschwinde!«, radebrechte ein Diener mühsam. »Wir empfangen keine Besuche, und wir wollen keine Bettler!«
»Ich bin kein Bettler!«, rief sie in ihrer Muttersprache und fragte sich sofort, ob das wohl klug gewesen war.
»Engländerin?« Die Männerstimme sprach unverkennbar das rollende schottische R. »Rühr dich nicht vom Fleck, Mädchen, ehe ich 'runterkomme!«
Gleich darauf öffnete sich ein schmales Schiebefenster, dessen Gitterwerk verhinderte, dass sie das Gesicht dahinter ausmachen konnte. Also ging sie näher heran und flüsterte: »Ich suche den Mann, den man Hind Div nennt. Sind Sie es?«
»Ich sage weder Ja noch Nein. Aber am besten kommen Sie morgen wieder. Es ist nicht die Tageszeit, den Div herauszufordern.« Das Fensterchen klappte zu.
Ungeduldig klopfte sie an die Tür. »Ich habe Geld.«
Wieder schwang das Fenster auf. »Wie viel?«
»Lassen Sie mich ein, dann können Sie es selbst sehen«, antwortete Japonica und klang tapferer, als sie sich fühlte.
Zu ihrer Verwunderung wurde die Tür geöffnet. Nach einem hastigen Blick links und rechts in die nun merkwürdig leere Gasse trat sie ein.
Kaum hatte sie die Schwelle überschritten, hüllte eine kühle, süße Brise sie mit Jasmin-und Orangenblütenduft ein. Hitze, Staub und alle unangenehmen Gerüche der Straße waren ausgeschlossen. Sie bewegte sich vorwärts, ehe der Eindruck überirdischer Schönheit sie innehalten ließ. Dies war das Heim eines sehr reichen Mannes.
Den Erzählungen nach bestand der Reiz orientalischer Häuser darin, dass sie nach innen auf ein duftendes, schattiges, kühles und von der Außenwelt abgeschnittenes Reich ausgerichtet waren. Und jetzt begriff sie es. Blendend weiße Säulen und Bogengänge schimmerten matt im indigoblauen Schatten eines großen Innenhofs. Goldbefranste granatapfelfarbene Vorhänge schwangen in einer Brise, die wohl hier drinnen entstand, da auf der Straße drückende Schwüle geherrscht hatte. Flankiert vom üppigen Grün der Orangen-und Zitronenbäume, beleuchtet von einer geheimnisvollen Lichtquelle, befand sich in der Mitte ein Brunnen, dessen in floralen Mustern angeordnete Mosaikfliesen rot, blau und golden glänzten. Es herrschte Stille, die nur von einem lieblichen Plätschern unterbrochen wurde.
Das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür riss Japonica aus ihrem Sinnen. Sie drehte sich um und sagte: »Ich bin gekommen ...«
Aber sie sprach ins Nichts.
Niemand stand an der Tür. Und als ihre Augen sich an die Dämmerung gewöhnt hatten, sah sie, dass sich auch niemand im Hof befand. Aus Reue über ihren Fehler, so übereilt ein fremdes Haus zu betreten, lief sie zur Tür und zog an der Klinke, die aber nicht nachgab.
»Bismallah! Was soll das?«, fragte sie aufgebracht. Einzige Antwort war das ferne Echo ihrer eigenen Stimme.
»Na schön.« Tapfer straffte sie die Schultern. Obwohl ihr Herz schnell wie im Rhythmus eines Derwisch-Tanzes schlug, würde sie ihre Angst nicht zeigen. »Sag dem Hind Div , dass ich am Brunnen auf ihn warte.«
Einige lange Minuten verharrte sie dort in der absoluten Stille. Nicht nur einmal warf sie einen raschen Blick über
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