Arbeit und Struktur - Der Blog
überleben mittlerweile in meiner RPA-Klasse 28% vier Jahre und 28% erreichen die Fünfjahresgrenze: praktisch ewiges Leben. Damit kann man arbeiten.
16.4. 2010 12:44
Meine Chronik des Jahres ’99 wiedergelesen, was ein Elend. Glücklich war ich auch nur, wenn ich nicht verliebt war. Im Vergleich zu 1986 und 1999 nimmt sich 2010 nachgerade prächtig aus.
16.4. 2010 19:49
Ich kann mich nicht erinnern, wie diese zwei Nerd-Statuszeilen hießen, die manche Leute vor zehn Jahren unter ihren Mails hängen hatten und wo man in verschlüsselter Form über ihre gesamte Biografie, ihre wirren Vorlieben und ihr Verhältnis zu Bill Gates informiert wurde. Aber auch auf der Hirntumorliste ist es üblich, Chiffren an seinen Namen zu hängen, die zu den Ansichten über Strahlen, Haarausfall und Boswellia serrata hinzuaddiert werden müssen: “LG Karen AA III/07″ oder “Heinz Astro 2.2003″. Wenn “Christina 35, GBM IX/03″ postet, hört man, wie die anderen Glioblastome in Deutschland die Luft anhalten.
19.4. 2010 13:17
C. hat mir ein vom Sand und Blut des Irakkriegs gereinigtes Militärkäppi für meine Frisur gekauft. Wenn ich mit meinem Sichtfeldausfall jetzt Leute anremple, fangen sie an, sich bei mir zu entschuldigen.
Am besten geht’s mir, wenn ich arbeite. Ich arbeite in der Straßenbahn an den Ausdrucken, ich arbeite im Wartezimmer zur Strahlentherapie, ich arbeite die Minute, die ich in der Umkleidekabine stehen muß, mit dem Papier an der Wand. Ich versinke in der Geschichte, die ich da schreibe, wie ich mit zwölf Jahren versunken bin, wenn ich Bücher las.
Liste der Bücher, die mich in verschiedenen Phasen meines Lebens aus unterschiedlichen Gründen am stärksten beeindruckt haben und die ich unbedingt noch einmal lesen will:
Der Seeteufel
Aquis submersus
Jane Eyre
Arthur Gordon Pym
Sommer in Lesmona
Im Schatten junger Mädchenblüte
Hunger
Der Idiot
Schuld und Sühne
In Cold Blood
Dies ist kein Liebeslied
Wobei von Stendhal über Nabokov bis Salinger alle fehlen, die ich in den letzten ein zwei Jahren schon erledigt hab. Und für den ganzen Proust reicht’s halt nicht noch mal.
21.4. 2010 23:00
Bayern-Lyon bei Cornelius. Nachdem mich die 22 Akteure auf dem Rasen lange Wochen nicht wirklich interessierten, ist jetzt alles wie gehabt. Cornelius erklärt den Totalen Fußball, ich trinke Tee, und Holm, Tim und Philipp bewundern Cornelius’ neueste Sesselanschaffungen auf ebay, die er offenbar in Staatsaktionen mit der U-Bahn durch Berlin kutschiert. Man hatte sich ja immer gefragt, was der Mann eigentlich macht.
Neben Passig und Hubrich ist Cornelius derjenige, bei dem es mich am meisten schmerzt, nicht zu wissen, wo er in zehn Jahren sein wird. Dieses unfaßbare Potential, das nirgends hinsteuert. Vielleicht sitzt er dann bei Alexander Kluge. Oder versackt in Princeton. Oder redet weiter im Prassnik Leute an die Wand.
Per Leo ist auch noch so einer. Aber da sieht man’s wenigstens schon ungefähr.
22.4. 2010 11:07
Zu meiner Überraschung ist die Strahlentherapie heute schon zu Ende, ich hatte nicht mitgezählt. 41 Termine, 60 Gray. Ein bißchen Haarausfall, eine Schwummrigkeit und die letzten Tage mitunter Konzentrationsstörungen, mitunter starke Konzentrationsstörungen. Offenbar zeige ich wieder die falsche Reaktion: Ich freue mich nicht. Ich mochte es, daß da auf diese Stelle in meinem Kopf geschossen wurde. Gibt es eigentlich Versuche mit Placebo-Strahlentherapie?
22.4. 2010 11:38
Bischof Mixa hat’s versenkt. Daß ich das noch erleben darf. Jetzt noch den Papst, Deutschland Fußballweltmeister und der Jugendroman mit mehr als 3.000er-Auflage, bitte.
Fahrrad reparieren: Es ist ungeheuer, was man im Lauf seines Lebens an Weltwissen und Kulturtechniken sich aneignet und mit sich herumschleppt, und man kann mit dem meisten doch nicht viel mehr anfangen, als es irgendwann weiterzugeben. Ich weiß nicht, warum es mir beim Fahrrad Reparieren immer so besonders auffiel. Aber ich hab in meinem Leben keinen Reifen geflickt und wieder aufgezogen, ohne beim Sichern des Ventils die Worte meines Vaters zu hören, gesprochen in einem Keller am Möhlenbarg vor fünfunddreißig Jahren: Wenn das da wieder reinrutscht, war alles umsonst. Und ziemlich oft habe ich mir auch vorgestellt, ich selbst würde diesen Satz eines Tages zu einem Zehnjährigen sagen.
23.4. 2010 13:01
Das Wesen der Zeit mag unerfindlich sein, und was ich über Präsentismus, Blockzeit und
Weitere Kostenlose Bücher