Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arbeit und Struktur - Der Blog

Arbeit und Struktur - Der Blog

Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
Vom Netzwerk:
Hausaufgabe, und die war, daß wir eben alle auch mal so was machen sollten. Wir wüßten ja jetzt, wie das geht, Kreuzreim, Dings, A-B-A-B. Und dann noch Stilmittel .

    Aus irgendwelchen Gründen hatte ich die Hausaufgabe am nächsten Tag aber vergessen, und als Kaltwasser dann tatsächlich jeden einzelnen der Reihe nach aufgerufen hat, hab ich mich erstmal auf Toilette verabschiedet. Mit Zettel und Füller. Und da saß ich dann auf dem Klodeckel und dachte, hau ich halt schnell einen Vierzeiler zusammen. Was strategisch unklug war, weil ich auf die Weise ja das Gedicht von Tatjana verpaßte, und wenn mich eins auf der Welt interessierte, dann wie Tatjanas Sprache der Gefühle aussah. Wäre ich also besser in der Klasse sitzengeblieben und hätte einen Eintrag kassiert. Aber, wie gesagt, das fiel mir zu spät ein auf dem Klo. Und dann wußte ich auch nicht, was ich überhaupt schreiben sollte. Sprache der Gefühle. Ich hatte schon seit Monaten nur noch ein einziges Gefühl gehabt. Und so hab ich dann auch angefangen. Ich kann an gar nichts anderes denken, erste Zeile. Und schon bei Zeile zwei war ich mächtig am Schwimmen. Tatjana, param param, mein Herz, hier fehlt ein Wort, param, irgendwas mit schenken. Herz schenken. Geschenk schenken. Oh Mann.

    Wenn man über Liebe und so was schreiben will, sollte man wahrscheinlich schon länger darüber nachdenken als fünf Minuten auf dem Schulklo. Hat Goethe bestimmt auch gemacht. Außerdem hatte ich nicht wirklich vor, ein Gedicht über Tatjana zu schreiben. Aber wenn nicht über Tatjana, worüber dann? Eins über mich? Über die Natur? Über das Klo? Türken? Auschwitz? Mir fiel nur Quark ein. Ich liebe dich, du blöde Sau, während ich ins Jungsklo schau. Nee, nee. Vielleicht doch besser harmlos machen die Sache – wie hieß das noch? Metaphorisch, genau. Einfach die Liebe weglassen und über die Landschaft reden. Und am Ende stellt sich raus, es ist gar keine Landschaft gemeint, sondern Frau von Stein. Der Winter kommt. Die Luft ist kalt. Ich hab kein Schal, Herr Rechtsanwalt. Nein.

    Als ich in die Klasse zurückkam, hatten schon fast alle gelesen. Die Reihe war an meinem Platz längst vorbei, und nur die zwei hinteren Bänke kamen noch. Den größten Erfolg hatten Jungen, die die Worte Scheiße und Arsch in ihren Gedichten untergebracht hatten. Wobei Arsch das Schwierigste zu sein schien, quasi Königsdisziplin. Da spielte gleich in zwei Gedichten von der letzten Bank irgendein Fluß die Hauptrolle, damit nämlich ein Barsch in dem Fluß schwimmen konnte. Und was war das für eine Begeisterung am Ende, wenn das Reimwort kam! Nur Kaltwasser mochte es nicht so.

    Die Stunde war fast um, und ich hoffte schon, nicht mehr dranzukommen. War aber leider nicht so. Kaltwasser setzte ein feines Lächeln auf, überblickte die ganze Klasse und sagte: “Unser Freund Maik Klingenberg. Dann lies doch mal vor, was du da in fünf Minuten über dem Urinal zusammengekritzelt hast. Wenn’s Versmaß stimmt, mach ich nicht mal einen Eintrag.”

    Immer dieses Problem mit den Erwachsenen. Einerseits blicken sie’s oft nicht. Aber dann blicken Sie’s wieder. Kaltwasser blickte es meistens. Ich packte meinen Zettel aus und las. “Ich liebe dich -”

    “Ich liebe dich? Was? Lauter!” rief Kaltwasser.

    “Ich liebe dich. Und ganz egal.
    Der Winter kommt. Ein warmer Schal
    Ist besser als ein kalter.
    Ich bin zu häßlich für mein Alter.

    Du bist zu schön. Und das vergeht.
    Das ist nicht neu. Nichts bleibt, nichts steht.
    Ein Lada steht im Parkverbot.
    In hundert Jahren sind wir tot.”

    “Soso. Wir können schon Ironie”, sagte Kaltwasser. “Na – das hätte Goethe in fünf Minuten auch nicht besser hingekriegt. Kein Eintrag. Hausaufgaben zum nächsten Mal: Seite 122 oben.”

Elf : 

    10.12. 2010 23:00

    Neue Kneipe nach dem Hallenfußball in Marzahn: Bier ein Euro zur Happy Hour, sonst 1,20. Junge, wahnsinnig freundliche, aufgekratzte Bedienung. Ab und zu erheben sich die Gäste und taumeln umher zum Euro-Trash. Jeder hat eine Strichliste seiner Getränke umgedreht neben sich liegen, damit die anderen nicht sehen, wieviel Geld er in der Tasche hat. Zehn Striche: Mindestens zwölf, dreizehn Euro. Zu gefährlich, sagt die Bedienung.

    15.12. 2010 16:37

    Prof. Moskopp zitiert Schiller, Benn, Wittgenstein. Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt, dies sei, so Prof. Moskopp, vermutlich zu plakativ (mot juste vergessen). Einigkeit mit Tom Lubbock, der Worte und

Weitere Kostenlose Bücher