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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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wechselt.

    Passig erzählt, daß sie zu jedem Wort, das sie kennt (von banalen Wörtern wie Präpositionen abgesehen), weiß, wo sie es zum ersten Mal gehört hat. Und sie dachte bis jetzt, es ginge jedem so. Ich hatte mal eine Freundin, D., die, sobald sie sich hinlegte und die Augen schloß, Traumbilder vor sich ablaufen sah wie in richtigen Träumen. Dachte auch, das ginge jedem so.

    4.5. 2011 20:32

    Den ganzen Nachmittag mit Jan am Meer. Den Felsen Richtung Cefalu erstiegen und auf dem Rückweg den alten Menschheitstraum verwirklicht, ein Flüßchen am Strand umzuleiten. Komplizierte Dämme gebaut, Fundamente aus Fels, Wasserleitungen aus Schilfrohr, und die bald im Minutentakt durchbrechende Flut in immer neue Bahnen gelenkt. Kurz nach dem Einstellen der Wartungsarbeiten sieht es aus wie das Römische Imperium nach den Vandalen.

    Kennengelernt hab ich Jan vor über zehn Jahren, aber eigentlich kennen wir uns kaum. Und dann einen ganzen Tag knietief in einem Abwasserfluß stehen und mit Schlamm schmeißen, das ist schon sehr angenehm. Oder ist das selbstverständlich? Kann ich nie einschätzen, ob mein Bekanntenkreis da repräsentativ ist. Aber sind ja alle so.

    5.5. 2011 8:21

    Traum: Ich gehe auf eine Lesung von Günter Grass. Grass hat abgesagt, aber mein Nachbar von zwei Stockwerke unter mir, ein Skinhead, ein Nazi, ein Intellektueller (er geht auf Lesungen) ist da. Er beleidigt mich und behauptet, meine Schuhe wären scheiße. Die Freundin an seiner Seite ist die schönste Frau, die ich seit langem gesehen habe. Und der Mann sieht eigentlich auch ganz sympathisch aus. Wieder zu Hause fühle ich mich diffus von ihm bedroht und erschieße ihn und ein halbes Dutzend seiner glatzköpfigen Freunde.

    6.5. 2011 18:24

    Rumgelesen in der Italienischen Reise, Sehnsucht bekommen nach diesem Land. Oder vielleicht auch nur nach der Zeit. Mit Ctrl+F nach Moritz gesucht, der von allen Menschen aus der Vergangenheit wahrscheinlich derjenige ist, dem ich am liebsten einmal begegnet wäre. Leider schreibt Goethe nicht viel über ihn, außer daß er ihn auch schätzt.

    10.5. 2011 20:45

    Den ganzen Tag lang nicht gebadet, die Wellen lassen es nicht zu. Nicht so hoch wie auf Fuerteventura, aber dafür so gedrängt hintereinander, daß man nicht reinkommt ins Meer. Marek versucht es trotzdem, treibt wie ein Korken über die ersten drei Wellenkämme und wird vom vierten weggedrückt. Fünfzig Meter seitwärts krabbelt er auf den Strand, und dann kommt schon irgendein Italiener und droht, auf seinem Handy die Polizei zu rufen. Ob wegen Leichtsinn oder mangelnder Badehose, bleibt ein wenig unklar.

    Im Restaurant an einem Vierertisch muß ich nachzählen, wieviele wir sind. Kathrin, Jan, Marek – und war da nicht noch einer? Ach ja, ich. Eine Gruppe von drei überblicke ich auf Anhieb, bei vier muß ich zählen. Zahlen, Sichtfeld, Orientierung und jeden Morgen das Spielchen: Was ist mein linker Schuh und was mein rechter? Aber das war’s im wesentlichen.

    Gunter Sachs hat sich erschossen. Alzheimer, Selbstdiagnose.

    11.5. 2011 11:19

    Arbeit auf der Terrasse. Am Nebentisch die von einem anthroposophischen Bildhauer der 1920er Jahre geformte Skulptur des Lesenden (Ton, unglasiert), der ein Witzbold Monobloc und Kindle untergeschoben hat – Marek.

    17.5. 2011 9:02

    Zweihundert Seiten, auf denen sie den Held zu Tode foltern. Vor knapp fünf Jahren angefangen, als ich gerade in der Fahnenkorrektur zum Van-Allen-Gürtel war und im Fernsehen dieser Film mit Ray Liotta lief. Und schon damals als bewußter Gegenpol zu Tschick und seiner Freundlichkeit konzipiert, die nihilistische Wüste. Fand ich früher ja lustig, Gewalt. Aber jetzt zieht es mich runter. Lieber würde ich was anderes schreiben. Den Teil, wo sie ihm die Finger abschneiden, kochen und zu essen geben, rausgeschmissen. Am Ende soll er auch noch einmal laufen können.

    “Nachdem Carthage den Kot auf der ganzen Zeitung wie auf einem großen Nutella-Brot ausgestrichen hatte, verkündete er mit dem Gesichtsausdruck und im Tonfall eines Achtjährigen: ‘Hier ist nüscht.’” Das Feuilleton wird es lieben.

    21.5. 2011 20:00

    In der Karaoke-Bar am Strand. Mafiagesichter treten nacheinander ans Mikrofon und singen Sentimentales. Bei besonders schwierigen Passagen gibt es Zwischenapplaus von einem immer wieder enthusiastisch von seiner Pizza auffahrenden Pussy Bonpensiero. Ein dickes Mädchen darf nicht singen. In einem mit Brettern abgetrennten zweiten Raum

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