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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Jedenfalls scheinen sie ein paar W-Bosonen zuviel zu haben, und da muß dann wohl noch irgendwo ein Teilchen kommen.

    Zwanzig Jahre lang war ich immer froh, daß ich nicht Mathe und Physik studiert hab, wie das eigentlich nahegelegen hätte. Und ich glaube auch, daß es zuletzt richtig war. Schreiben war richtig, Berlin war richtig. Aber daß ich von dieser ganzen Teilchenphysik jetzt nichts mehr verstehe und nicht mal drüber nachdenken kann, deprimiert mich. Letztes Jahr den Quantenradierer auf Wikipedia entdeckt und schier verrückt geworden.

    Im Physik-Unterricht der zwölften Klasse, wo wir das hergeleitet hatten, war das noch unproblematisch. Beugung und Interferenz am Doppelspalt komplizierte, aber ausrechenbare Phänomene, am Ende stand da eine Formel für das nicht Meßbare, und was das wirklich bedeutet, ist mir erst Jahre später aufgegangen. Oder die Erschütterung stellte sich erst Jahre später ein. Aber der Quantenradierer vervielfacht den Irrsinn noch einmal, und daß so wenige Leute darüber ihren Glauben verlieren, hängt vielleicht auch damit zusammen, daß man mit dieser skandalösen Welt schon immer sehr früh, praktisch schon als Kind konfrontiert wird. Einstein ist der witzige Mann mit der Zunge, Schwarze Löcher billardkugelförmige Staubsauger, die Zeit ein Gemälde von Dalí. Wir begegnen dem halb roten, halb blauen Astronautenbrüderpaar und haben lange Jahre, uns an all das zu gewöhnen, bis wir in ein Alter kommen, in dem der Verlust der Kausalität uns wirklich entsetzen könnte.

    Das erste Mal in meinem Leben, glaube ich, daß ich “wir” gesagt habe. Ich laß es trotzdem mal stehen in der Hoffnung, daß man mich, nachdem mich irgendein Pfeifensack im MDR schon als Rosamunde Pilcher bezeichnet hat, nicht auch noch mit Juli Zeh vergleicht.

    19.4. 2011 17:48

    Cefalu. Kleines Haus in einem Zitronenhain. Palmen, Kiefern, Oleander, eine Hecke aus Kakteen, zerzauste Hunde. Am Ende des Gartens die Dünen, das Meer. Und kein Mensch.

    20.4. 2011 15:30

    Kajak fahren. Das Kajak hat ein kleines Loch und eine Wasserlage, daß man sich fühlt wie ein Eingeborener in seinem Einbaum. Einmal bei mittlerem Wellengang bis zur nächsten Landspitze und zurück. Am Ufer sammelt Passig Holz.

    Lektüre: Taipi von Melville. Abgebrochen. Zuerst zieht es mich mächtig an, wie alles mit Südsee, dann wird es langweilig. Oder mir wird langweilig. Ich kann das nicht mehr unterscheiden. Mein Urteil immer stärker getrübt von Stimmung und Kontrast zum vorigen Buch. Keine Ahnung, wie professionelle Kritiker mit dem Problem umgehen. Oder doch natürlich: mit der ihnen eigenen Wurstigkeit. Aber die besseren?

    Als Jugendlicher mal nacheinander Dostojewskij und Perutz gelesen und gedacht: Wie kacke ist das denn? Seitdem oft und von zurechnungsfähigen Leuten gehört, daß Perutz angeblich schreiben konnte. Hat aber nie eine zweite Chance bei mir bekommen.

    25.4. 2011 7:13

    Sturm, Regen, Gewitter. Gebadet. Lektüre: In Cold Blood. Passig liest mit und findet es wie alles, was kein Sachbuch ist, langweilig. Betulich, behäbig, wie Spiegel-Journalisten schreiben. “Das Städtchen Holcomb liegt auf der Weizenhochebene von West-Kansas, eine weite einsame Gegend …” Ja, finde ich aber nicht. Das einzige Buch, an das ich mich erinnern kann, über das zwischen uns jemals Einigkeit herrschte: Verzweiflung von Nabokov.

    Das Schönste wie immer der Morgen. Wenn ich um halb sieben aus dem Haus trete, kommt als erstes ein dreibeiniger Hund angesprungen, freut sich, wie ich mich freue, und begleitet mich ans Meer.

    29.4. 2011 11:01

    Sascha hat auf unserer Terrasse einen kleinen Gecko gefangen. Nur eine Zehntelsekunde, bevor die Katze ihn gefangen hätte. Sie fing dann Saschas Hand. Wenige Minuten später hat sie eine grüne Eidechse quer im Maul. Ich springe auf, und sie schlingt das Tier am Stück hinunter. Gegen Mittag kommen fünf oder sechs Hunde, die auf dem Grundstück streunen, und jagen die Katze durch die Löcher im Zaun und auf die Bäume.

    1.5. 2011 22:39

    Allein den Strand runter. Gewitter färbt den Himmel rotbraun über dem flaschengrünen Meer. Auf zehn oder fünfzehn Kilometern begegne ich keinem einzigen Menschen. Nur ein Hund guckt aus den Dünen. Eine Weile ist das schön, dann verwirrend, am Ende erwartet man, Zombies auftauchen zu sehen. Oder die Freiheitsstatue, vor der man sich als Charlton Heston verzweifelt in den Sand wirft.

    Abends Sturm, der im Minutentakt seine Temperatur

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