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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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die von dem in Notwehr agierenden Stenographen ebenfalls nichts mitkriegen. “Das kannst du deuten, wie du möchtest, warum glaubst du, daß ich dir hier so eine Szene mache, du und ich, wir sind völlig verschieden, ich möchte irgendwie eine Entschuldigung, ich hab ihr doch mehrfach eine Chance gegeben, ein drittes Mal tue ich das nicht, die lacht sich doch einen, die ist mir wirklich egal, die Vorstellung, aber Scheiße bleibt Scheiße, das ist eine ganz andere Liga, eine ganz andere Liga, du wirst es niemals wirklich wissen, wird einfach nicht gelingen, wird nicht gelingen.”

    Die Sonne über dem See.

    Jetzt dachte ich schon, sie umarmen sich, aber es ist nur die eine, vergraben in ihre Frisur. Die andere ist fort.

    Klobenutzung kostet schreiend eingeforderte 50 Cent.

    19.8. 2011 12:34

    Passig ein problematisches Kapitel geschickt, und sie hat keine Korrekturen. Wahnsinn. Ich schreibe seit zehn Jahren mit der Passig-Schere im Kopf, seit einiger Zeit dreht außerdem die Marcus-Gärtner-Schaufel meine Sätze um, wenn ich noch ein paar Jahre übe, mache ich beide arbeitslos.

    Und Passig hält insgesamt den Daumen hoch. Hat sie vorher noch bei keinem Buch gemacht.

    19.8. 2011 19:30

    Fußball, nachdem ich fast verschlafen habe. Läuferisch gut.

    21.8. 2011 23:48

    Mit Joachim und Marek am See, dann im Bootshaus. Langes Gespräch über Tagebücher und Liebeskummer. Draußen läuft Musik, Seventies, ein Hall auf der Chorstimme. Der Hall liegt plötzlich auch auf meiner Stimme. Ich will die anderen fragen, ob sie das auch hören, kann aber vor Angst nicht sprechen. Maximal eine Silbe, dann Hall, dann Abbruch. Ich halte meine Hände nach vorn. Ich nehme ein Tavor. Marek führt mich fort von den fatalen Melodien. Im Park höre ich die Stimmen der Leute, die nah und fern rund um den See sitzen, aber ich kann niemanden sehen. Sind überhaupt Leute da?

    Pantomimisch deute ich an, daß ich ein Notizheft und einen Stift brauche. Auf den eilig herbeigeholten Block schreibe ich: “Ich habe einen epileptischen Anfall habe ich den einen bekommen. Du mußt dich nichts damit angekommen. letzten Mal war es 20-30 minuten. Ich kann nicht sprechen an.” Grammatik zerschossen, Schriftbild normal.

    Marek hält meine Hand. Ich deute an, daß das Schlottern meiner Beine kein Teil der Epilepsie, lediglich Folge der Angst ist. Nach einer knappen Viertelstunde ist es vorbei. Für mein Zeitgefühl drei Minuten. Teilamnesie. Ich schlage vor, das nächste Mal kleine Oliver-Sacks-Experimente durchzuführen.

    Marek begleitet mich nach Hause. Ist der Roman jetzt eigentlich fertig? Wird er noch fertig? Geht es schrittweis in die Grube? Bin ich eigentlich noch mit C. zusammen? Ich weiß es alles nicht, und nichts davon interessiert mich. Alle seelische Energie ist verbraucht.

    Die auf dem Block notierten Sätze entsprechen ziemlich genau der Struktur meiner Gedanken währenddessen.

    Später in der Nacht erwache ich, weil der Fernseher läuft, Filme über die Maueröffnung. Das interessiert mich wieder. Großartige Zeit. In den Achtzigern hatte ich keinen Fernseher. Ich mußte mich bei Eva einladen, um zum ersten Mal die Bilder zu sehen. Aber wie alle Linken, die ich damals kannte, also alle, stand sie der Sache ganz gleichgültig gegenüber.

    22.8. 2011 17:48

    Spanische Jugendliche am Plötzensee werfen sich einen Ball zu, immer die gleichen Rufe und Antworten. Plötzlich höre ich sie, bevor sie rufen, plötzlich sind sie in meinem Kopf, plötzlich kann ich spanisch. Ich wage nicht zu testen, ob ich noch reden kann. An der Weser, Unterweser. Ich komme nicht mal bis Weser. Ich sehe auf die Uhr. Ich drehe mich vom Rücken auf den Bauch. Nach ein paar Minuten ist der Spuk vorbei.

    Dann baden, scheiß auf den Anfall. Mein Leben.

    23.8. 2011 9:38

    Von Elina geträumt, die in einem Garten voller absurder Insekten wohnt. Dazwischen kleine Plastilinfiguren, die Insekten täuschend ähnlich sehen. Mein eingebildeter Begleiter zieht eine Waffe und zielt auf die falschen Insekten. Ich halte ihn ab mit dem Verweis auf den wahren Mörder, der hinter der Tür warte, eine Mörderin, eine mir unbekannte Frau. Die Frau greift mit der Faust unter ihr Kinn und zieht sich eine Maske vom Gesicht wie Fantômas, darunter nochmal dasselbe Gesicht.

    In meinen Träumen fehlt die Passig-Schere noch.

    23.8. 2011 11:08

    Anruf bei Dr. Vier. Dosis auf 1,5 Gramm erhöht. MRT auf Mitte September vorgezogen. Kann sein, daß es jetzt losgeht, kann auch sein,

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