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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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hängenbleibe und fluchend von einem Foul ausgehe. Drei Monate vor der Diagnose.

    Wie ich auf einer zwanzig Meter hohen Düne herausfinde, wie man, ohne Fußspuren zu hinterlassen, davonrennen kann: Auf der Leeseite bis zu den Knien versinkend, nachrutschender Sand löscht die Spur sofort.

    Wie wir in Mhamid, hundert Kilometer hinter Zagora, am Ende der Piste, den Kindern einen Dirham versprechen für jeden deutschen Fußballer oder Verein, den sie aufzählen können. Der Beste bringt es neben Bremen, Ballack und Kahn auf immerhin so exotische Dinge wie Hoffenheim, Duisburg und Nürnberg. Redlich verdiente 15 Dirham.

    Die Fahrt durchs Draa-Tal bei Sonnenuntergang, der Junge, der uns auf der Brücke aus Blättern geflochtene Kamele verkauft.

    Wie Per Jochen fünf Euro bietet, wenn er einen Tag nicht “Ich” sagt.

    Sagte Susanne. Sagte Viola. Sagte Pussy.

    Der Tag im Riad. Der Ginster auf der Rollbahn.

    4.9. 2011 16:00

    Am Plötzensee liest ein Mann ein Buch mit einem mir wohlbekannt vorkommenden, häßlichen Umschlag. Gerade hat er Herrlich, diese Übersicht aufgeschlagen. Mein erster Leser. Los, sag was, sag was zu deinem ersten Leser!

    “Die schwächste Geschichte von allen. Würd ich überblättern.”

    5.9. 2011 11:00

    Lektorat mit Marcus im Verlag. Anstrengend, befriedigend, deprimierend. Die Selbstzweifel. Was für eine stilistische Scheiße ich zu schreiben imstande bin.

    6.9. 2011 13:16

    Und immer wieder vergesse ich die Sache mit dem Tod. Man sollte meinen, man vergesse das nicht, aber ich vergesse es, und wenn es mir wieder einfällt, muß ich jedes Mal lachen, ein Witz, den ich mir alle zehn Minuten neu erzählen kann und dessen Pointe immer wieder überraschend ist. Denn es geht mir ja gut.

    6.9. 2011 17:13

    Leichtes Flackern hinterm Rechner. Bei geschlossenen Augen ein Pulsieren auf den Innenseiten der Lider. Denke, weiterarbeiten zu können, baue ein, zwei weitere Änderungen ein, und als ich sie mir vorzulesen versuche, kommt nicht mal Gestammel. Setze mich mit Stift und Papier auf den Boden, schaue auf die Uhr und versuche, den Anfall, der um 17:13 beginnt, zu protokollieren. Ein Satz, der mir aus meinem Roman zu stammen scheint, geht mir als Hall und Widerhall durch den Kopf. Kann den Satz nicht verstehen, kann ihn mir nicht merken, versuche ihn Wort für Wort und Buchstabe für Buchstabe zu notieren.

    davor
    ein wenig
    z
    zu wenig wenig
    zuwenig zu

    Um 17:22 Anruf bei C., nebenher Gesagtes fällt leichter. Bitte um Korrektur meiner Fehler, meiner Syntax, da mir nicht klar ist, ob meine Äußerungen überhaupt Nachvollziehbares enthalten.

    Weser, Unterweser: Wieder hängt es an der zweiten Zeile, besonders problematisch das Subjekt, was macht es da? Es wird sein. An der Unterweser wird es sein. Was ist so verdammt schwierig daran?

    Zahlen gehen, rechnen geht (9 Minuten seit Anfang), Telefonnummer im Kopf aufsagen, Tasten tippen geht, am schwierigsten das Gedicht.

    Hast du schon was zu Mittag gegessen? Dann iß was, du Idiot.

    Dr. Fünf angerufen, Frisium zurück auf 5 mg.

    6.9. 2011 18:25

    Ravioli gekocht, Unterweser aufgesagt, konzentriert auf die Mechanik des Sprechens.

    6.9. 2011 21:00

    Eine Stadt voller Geräusche und blinkender Lichter. Hingucken, Kopf wegdrehen, wieder hingucken. Mit dem Rad zu C. Was Großstadt eigentlich bedeutet, ist einem als Nicht-Epileptiker vermutlich nicht klar.

    7.9. 2011 15:57

    Nächster Anfall. Immer zur gleichen Zeit. Deutliche Vorboten, ich schaffe es, das Telefonat mit meiner Mutter rasch und höflich zu beenden, bevor das 16-Tonnen-Gewicht auf mein Sprachzentrum fällt.

    7.9. 2011 17:10

    Versuch, weiterzuarbeiten. Wortfindungsstörungen. C. rät zur Ruhe.

    8.9. 2011 21:00

    Vierundzwanzig Stunden Rechner nicht aufgeklappt. Zwischendurch Mensa, dann wieder Bett. Kein Anfall. Hätte man sich auch denken können. Hätte man mir aber auch sagen können. Größer als die Angst vor dem Anfall aber immer noch die Angst, nicht fertig zu werden.

    9.9. 2011 10:26

    Firma Zischke repariert den Wasserhahn. Gewohnt, mir Satz für Satz laut vorzulesen, arbeite ich jetzt stumm, aus Furcht vor dem möglichen Hall auf der Stimme. Was schwierig ist. Klang beim Schreiben immer wichtiger als Inhalt. Erst Klang und Form, dann Inhalt.

    “Allet klärchen?” Der Mann mit dem Seeadler auf dem Bizeps hat den Wasserdruck auf der Dusche etwa verdoppelt. Viel kommt immer noch nicht.

    10.9. 2011 20:06

    Zum ersten Mal, glaube ich, fühle ich mich nicht nur

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